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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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verließ das Gebäude an diesem Nachmittag. Ich saß
ein paar Stunden da herum, in der Hoffnung, Davids vorgebeugte schlaksige
Gestalt zu sehen. Erst bei Sonnenuntergang gab ich mich geschlagen und
vertiefte mich wieder in meinen Stadtplan, um herauszufinden, wie ich nach
Chinatown kam. Dort lag eine der Adressen, an der die Dragon-Cocktailbar sein
könnte.
    Ich hätte erst eine Übernachtungsmöglichkeit finden und dann die
Kneipe aufsuchen sollen, doch auf die Idee kam ich nicht. Noch nie war ich
allein in einer fremden Stadt gewesen, geschweige denn in einem fremden Land.
Ein- oder zweimal war ich mit Freunden zelten gefahren und ab und an mit Dad
und Daphne übers Wochenende verreist, hatte mich aber noch nie selbst um ein
Hotelzimmer kümmern oder mich in einer unbekannten Stadt zurechtfinden müssen.
Die erste Drachenkneipe, die ich an jenem Abend fand, war eine chinesische
Kaschemme, wo ein Türsteher mit gelben Zähnen drohte, mich rauszuschmeißen,
obwohl ich nur dem Koch ein Hochzeitsfoto meiner Mutter zeigte. Ich muss nervös
und merkwürdig gewirkt haben, wie ich da mit meinem Schulrucksack in der einen
und Lilys rotem Koffer in der anderen Hand stand, das Basecap auf dem
knabenhaft kurzen blonden Haar. Der chinesische Türsteher glaubte mir nicht,
dass ich alt genug war, um Alkohol trinken zu dürfen. Statt in jener Nacht
August zu finden, übernachtete ich im erstbesten Hostel, das [57]  ich fand,
glücklicherweise nur ein paar Straßen von der Dragon Bar entfernt. Drinnen roch
es nach angebranntem Reis und Räucherstäbchen. Ich bekam ein
Gemeinschaftszimmer mit zwei Etagenbetten, aber ich war der einzige Gast. Den
Koffer nahm ich mit ins Bett und klemmte ihn zwischen Körper und Wand, eine verschwitzte
Faust um den Griff. Alle paar Minuten weckte mich ein neues Geräusch: erst
Toilettenspülungen und Türenknallen, dann das Geschrei zweier Katzen, die sich
auf dem Dach paarten, schließlich leises Gemurmel von Junkies oder
Nachtschwärmern unten auf der Straße. Ich fragte mich, was David wohl tat,
während ich hellwach in Chinatown lag. Wahrscheinlich schlief er tief und fest
und träumte. Ich stellte mir vor, wie er ausgebreitet auf dem Rücken in einem
großen Bett lag, wie ein Seestern, und leise schnarchte. Dann stellte ich mir
vor, dass er genauso wenig schlafen konnte und wie ich in die Dunkelheit
starrte.
    Sobald es am Montagmorgen hell geworden war, verließ ich das Hostel
in Chinatown und suchte mir ein anderes in West Hollywood. Das Serena Hostel,
das ich auf der Rückseite des laminierten Stadtplans aus dem 7-Eleven entdeckt
hatte, lag neben einem Schnapsladen. Gegenüber gab es eine trostlose Eisdiele,
in der wahrscheinlich Geld gewaschen wurde, weil nie jemand raus- oder
reinging. Doch das Hostel machte einen ganz netten Eindruck, mit großen Zimmern
und chaotischen Gemeinschaftsräumen. Überall standen Kerzen in Bierflaschen,
und an Pinnwänden wurden Bustouren zu den Villen der Promis angeboten. Es war
staubig, und die [58]  Toilettenspülung defekt, aber es war bezahlbar. Es wurde
von Vanessa geführt, einer etwas ruppigen Frau, deren lange schwarze Gewänder
sie übergewichtig wirken ließen. Sie hatte drei Dreadlocks in ihren aschblonden
Haaren und trug selbst bei über dreißig Grad schwarze Schnürstiefel. Ihrem
Geschäftspartner Tony, einem Exbodybuilder mit flachgedrückter Nase, fehlte an
der linken Hand ein Finger. Sie vermieteten mir ein Schließfach hinter der
Rezeption, so dass ich den Koffer sicher unterstellen konnte und ihn nicht
ständig mit durch die Stadt schleppen musste. Es waren große hölzerne
Schließfächer, die an Gepäckaufbewahrungen in Bahnhöfen erinnerten, nur dass
man hier Vorhängeschlösser benutzte. Den Schlüssel musste man bei Vanessa oder
Tony abgeben, und immer, wenn man etwas aus dem Schließfach holen wollte, einen
von beiden bitten, aufzuschließen. Bevor ich ihnen Lilys Koffer zur
Aufbewahrung gab, nahm ich mir ein paar von ihren Sachen und ihren Führerschein
aus dem Portemonnaie in ihrer Handtasche. Ich trug immer noch mein
schmuddeliges Basecap, aber mit Lilys Sonnenbrille und ihrem leicht taillierten
schwarzen T-Shirt statt meiner Kapuzenjacke wirkte es irgendwie stylish. Ich
trug sogar ein Paar Ohrringe von ihr: die kleinen tropfenförmigen in Silber und
Blau.
    Mit Mütze und Sonnenbrille getarnt, hockte ich mich wieder auf die
Stufen vor Davids Büro, ohne zu wissen, was ich sagen sollte, falls er mich
entdeckte. Es wäre wesentlich

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