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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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leichter, mit August ins Gespräch zu kommen, dem
konnte ich schließlich das Hochzeitsfoto zeigen. [59]  Bei David blieben mir nur
ein Haufen Briefe, die womöglich nicht mal von ihm waren. Mit der Zeit erkannte
ich, wer von denen, die drüben durch die Drehtür kamen, Paparazzi waren. Sie
traten mit gehetztem Blick ins Freie, die Kamera baumelte über der Schulter wie
das Gewehr eines Wilderers; viele von ihnen hatten Bärte oder waren zumindest
unrasiert. Während sie mit nervösen Schritten davonhasteten, als fürchteten
sie, etwas zu verpassen, schoben sie ihre Sonnenbrillen auf den Nasenrücken runter
und tippten auf dem Weg zu ihren Autos oder zum Coffeeshop an der nächsten
Straßenecke auf Handytasten herum. Ich aß einen Donut aus dem Donutladen, von
dem mir übel wurde, und blätterte in dem Taschenbuch, das ich mir von Lilys
Nachttisch im Pink Hotel genommen hatte. Der eingeprägte Titel lautete Enkidu; darunter war eine Männergestalt abgebildet, halb
Tier, halb Mensch. Den Eselsohren nach zu urteilen, hatte sie das letzte
Viertel nicht mehr geschafft. Laut dem Text auf der Rückseite beruhte das Buch
auf irgendeinem alten Heldenepos über ein schwarzäugiges menschenähnliches
Wesen namens Enkidu, das unter Tieren aufwuchs, aber beim Durchblättern hatte
ich den Eindruck, dass es gar nicht so schlecht war. Auf den Stufen gegenüber
des Bürohauses erfuhr ich, wie Enkidu sich auf allen vieren fortbewegte und an
Schweineeutern nuckelte, bis ein Jäger ihn eines Tages entdeckte und die Dirne
Shamhat zu ihm in die Wildnis schickte. Es folgte eine schaurige Sexszene, in
der Enkidu aus Shamhats Brüsten Milch saugen wollte und ihr schließlich die
Brustwarzen blutig [60]  biss. Immer wieder schaute ich von den Seiten auf, um
Gesichter und Körper zu mustern, wenn Leute das Bürohaus betraten oder verließen,
sah an dem Tag aber niemanden, der David ähnelte, und als ich schließlich mit
meinem bekritzelten Stadtplan in den Händen einen Bus nach Boyle Heights
bestieg, rochen meine Haut und meine Haare nach Schweiß, Hitze und Donuts.
    Im Twin Dragon Drinks hing eine Discokugel von der Decke, der Boden
klebte, und eine rhythmisch zuckende Menschenmenge verdeckte die mit Holzimitat
getäfelten Wände. Ich sah zwar vollkommen anders aus als Lily auf ihrem
Führerscheinfoto, aber der Türsteher warf kaum einen Blick darauf, als er mich
in den Club hineinwinkte. Den Hip-Hop überschreiend, versuchte ich sämtliche
Barkeeper, Türsteher und Kellnerinnen zu fragen, ob sie August kannten. Doch
auf die feierlichen Mienen auf dem Hochzeitsfoto reagierten alle nur mit
Schulterzucken und Stirnrunzeln.
    »Nee, ein August ist mir noch nie
untergekommen…«
    »Was denn, wie die Jahreszeit? Nee…«
    »Der sieht süß aus. Kenn ich nicht…«
    Es war gerammelt voll, dauernd schubste mich jemand, trat mir auf
die Zehen oder stieß mir den Ellbogen in den Magen, als wäre ich unsichtbar im
Dunkeln. Die Leute, die tranken und tanzten, wirkten überlebensgroß – mein
Blick fiel auf weiße Plateauschuhe, Haarverlängerungen, muskulöse Arme,
braungebrannte Mädchen und Männer mit sirupfarbener Haut, Basecaps, an denen
noch die Preisschilder hingen. Als ich schließlich [61]  wieder in den warmen
Abend von Los Angeles hinaustrat, atmete ich tief durch, etwas abseits von den
Horden der Raucher, die im Scheinwerferlicht des Clubs von einem Fuß auf den
anderen traten.

[62]  8
    Ich beschloss, mich noch einen Tag vor Davids Büro zu
setzen. Falls er nicht aufkreuzte, wollte ich nach Venice Beach fahren und
Richard wie versprochen den Koffer zurückgeben, aber an diesem dritten Tag –
mir war von dem Geruch nach zuckrigem Schmalzgebäck und wässrigem Kaffee aus
dem Donutladen schon ganz schlecht – trat David aus der Drehtür in die Sonne
heraus. Ich hatte ihn nicht reingehen sehen, und als ich ihn entdeckte, stockte
mir kurz der Atem. Er war sogar noch größer als in meiner Erinnerung, aber
etwas schlanker und hagerer, bis auf die breiten Schultern. Er trug eine
mächtige Sonnenbrille und unförmige graue Flanellhosen. Ich schaute in seine
Richtung, behielt aber meine Deckung bei. Auch diesmal sah es wieder so aus,
als wäre er in einen Haufen Schmutzwäsche gefallen und hätte sich so lange
darin herumgewälzt, bis er angezogen war. Er blieb stehen, und nach einem
kurzen Blick auf seine Armbanduhr hinkte er zu einem Coffeeshop an der nächsten
Straßenecke. Mir war immer noch schlecht, und ich blieb, wo ich war.

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