Pink Hotel
leere Vorortstraße
entlang, in der Hand zwei lederne Hundeleinen, an denen wüste Pitbull-Terrier
zerrten. Das Feuerrot des Leders passte zu Lilys lachenden feuerroten Lippen.
»Später lernte ich Deine roten Kleidchen kennen und die Armee feuerroter
Lippenstifte auf Deinem Schminktisch«, fiel mir eine Zeile aus den anonymen
Briefen wieder ein. Es war ein wunderschön komponiertes Foto. So wie er Lily
darauf zur Geltung brachte, konnte man dem Bild fast ansehen, dass David sie
liebte. Es weckte in mir den Wunsch zu erleben, was sie erlebt hatte. Auf
diesem Foto sah sie lebendiger aus, als ich mich fühlte, die ich quicklebendig
auf knarzenden Hostel-Dielen in West Hollywood kauerte.
[115] Am nächsten Morgen hockte ich auf der Ecke einer baufälligen
Mauer neben einem öffentlichen Telefon vor einer thailändischen Hotdogbude am
Hollywood Boulevard. Über der Bambustür hing ein riesiges Hotdog aus Holz, das
rosa Würstchen hatte ein lächelndes Gesicht mit Schlitzaugen. Ein Obdachloser
schlurfte vorbei, umgeben von einem widerlichen Geruch. Er schien dieses Stück
Straße immer wieder auf und ab zu laufen, tagein, tagaus, ununterbrochen. Ich
schob meine Telefonkarte ein und wählte London.
»Ja?«, kam die Antwort vom anderen Ende der Leitung. Im Hintergrund
hörte ich den Fernseher, die Zehn-Uhr-Nachrichten auf BBC .
Mittlerweile war ich seit über einer Woche in L.A. ,
und mein Flugzeug nach Hause war vor drei Tagen gestartet. Ich sah alles vor
mir: die zu bunten Wände um ihn herum, das Äderchen auf seiner Stirn, das
anschwoll, wenn er müde oder wütend war, die Tintenflecke an seinen Fingern von
den Abrechnungen.
»Dad?«, setzte ich an.
»Wo bist du?«, fragte er langsam, nachdem es kurz still gewesen war.
»Immer noch in Los Angeles«, antwortete ich.
»Ist alles in Ordnung mit dir? Du warst
nicht im Flugzeug.«
»Mir geht’s gut.« Ich zupfte ein Stück Nagelhaut ab.
»Ich hab mit Lilys Mann gesprochen«, sagte Dad.
»Richard?« Ich runzelte die Stirn. »Warum?«
»Er hat hier angerufen und gesagt, dass er dich sucht«, antwortete
Dad. »Und er war stinksauer, als ich ihm nicht sagen konnte, wo du bist. War ja
klar, dass nichts [116] Gutes dabei rauskommt, wenn du zu dieser Beerdigung
fliegst«, sagte er.
»Mir geht’s gut«, beteuerte ich. »Alles
in Ordnung.«
»Das hörte sich bei Lilys Mann aber ganz anders an. Er sagt, du hast
auf ihrer Totenwache einen Koffer aus seinem Schlafzimmer gestohlen. Und dass
du dich mit Lilys erstem Mann getroffen und diesen Koffer durch die ganze Stadt
geschleppt hast.«
»Woher weiß er, dass ich ihren ersten
Mann getroffen hab?«
»Keine Ahnung, woher er das weiß, aber er war nicht begeistert.«
»Wann hat er angerufen?«
»Vor zwei Tagen, am Donnerstag«, sagte Dad. »Ich hab ihm gesagt, wir
hätten dich am Mittwochabend zurückerwartet, aber du bist nicht aufgetaucht.«
»Ich hab nicht Lilys Mann bestohlen, sondern mir bloß ein paar
Sachen ausgeliehen, die früher meiner Mutter gehört haben«, sagte ich. »Und als
ich das Zeug zurückbringen wollte, hat er sich geweigert, sich mit mir zu
treffen.«
»Na, jedenfalls war er nicht gerade bester Laune. Er will, dass du
ihn anrufst. Hast du einen Stift? Er hat mir die Nummer gegeben.«
»Seine Frau ist vor kurzem gestorben. Natürlich hat er nicht die
beste Laune.«
»Hast du jetzt einen Stift oder nicht?«
»Sekunde«, sagte ich und wühlte in meinem Rucksack nach etwas zum
Schreiben. Ich kritzelte die Nummer auf einen Zettel, obwohl ich überhaupt
keine Lust mehr [117] hatte, den Koffer zurückzugeben. Wie Richard sich anhörte,
gefiel mir gar nicht, aber der Koffer gefiel mir inzwischen. Ich mochte die
Kleider. Ich las gern in den Briefen.
»Was war in dem Koffer, den du genommen hast?«, fragte Dad, nachdem
er mir die Nummer diktiert hatte.
»Sie hätte dir Alimente zahlen müssen, oder wie man das nennt«,
antwortete ich, während ich Richards Telefonnummer in die Tasche von Lilys
Jeans steckte und überlegte, wie ich Dad auf meine Seite ziehen konnte. »Die
hatten so ’n Riesenhotel in Venice Beach, und da waren massenhaft Klamotten und
Schmuck und Zeugs. Sie war reich, Dad. Stinkreich.«
»Du hast Schmuck gestohlen?«, fragte Dad ungläubig. »Ich fass es
nicht! Nicht mal du kannst so bescheuert sein, bei einer Totenwache Schmuck zu
stehlen. Sag mir, dass das nicht wahr ist.«
»Bloß Schuhe und Klamotten und sonst ein bisschen was, keinen echten
Schmuck«, versicherte
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