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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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ich schon vor
zehn Jahren nicht in die Quere kommen, und jetzt erst recht nicht.«
    »Was ist denn so schlimm an ihm?«, sagte ich. »Ich hab ihn auf der
Totenwache gesehen, der totale Versager. Er [125]  wirkte mehr wie ein
Hochzeitssänger als wie jemand, vor dem man Angst haben muss. Er ist vor meinen
Augen aus den Latschen gekippt und hat schnarchend auf dem Bett gelegen. Ich
hab ihn zugedeckt. Nicht gerade beängstigend.«
    »Er hat mich gebeten, ihm Bescheid zu geben, wenn ich dich
wiedersehe.«
    »Dann tu’s doch«, meinte ich schulterzuckend, auch wenn ich
vorsorglich das Serena Hostel nicht erwähnte.
    »Ich will Richard nicht erzählen, dass du hier warst. Ich hab ihm
gesagt, du würdest wahrscheinlich nicht wieder herkommen, und ich möchte ihn
lieber nicht angelogen haben, klar?« August runzelte die Stirn.
    »Okay, wenn du meinst«, sagte ich und zählte die aufsteigenden
Bläschen in meiner halb ausgetrunkenen Cola. August lächelte bedauernd und
wandte den Blick ab. Die weintrinkenden Frauen kicherten. Der Mann mit dem
Nasenpiercing schaute von seinem Bier auf, sah mich kurz an und dann aus dem
Fenster.
    »Findest du, ich sollte Richard
anrufen?«
    »Ich will mit der ganzen Sache nichts zu tun haben«, sagte August.
    »Aber du hast doch schon damit zu tun.«
    »Komm nicht noch mal hierher. Danke für das Foto, das du dagelassen
hast. Das bedeutet mir sehr viel. Aber dich will ich nicht wiedersehen.«
    »Alles klar«, sagte ich und kam mir billig und fremd vor.
    Es war nicht spät, als ich die Dragon Bar verließ, vielleicht elf,
aber als ich an der Bushaltestelle stand, wurde [126]  ich doch etwas nervös. Eine
Frau mittleren Alters in weißem Kosmetikerinnenkittel und Jeansjacke spielte
auf ihrem Handy Tetris. Sie sah immer wieder zu mir herüber und zu einer Gruppe
Jungs mit Baggys und Basketballtrikots, die wiederum mich zu beobachten
schienen. Palmen schwankten im Wind vor dem niedrigen dunkelblauen Himmel, und
mein Körper verspannte sich unter den fremden Blicken. Ich machte mich bereit,
loszurennen, zu treten oder zu spucken, aber nichts passierte, also war ich
wohl einfach nur paranoid.
    Von der geschlossenen Reinigung gegenüber drang ein Geräusch zu mir,
dann wieder hörte ich nichts weiter als die Finger der Kosmetikerin auf ihrer
Handytastatur und das Geschlurfe übergroßer Turnschuhe auf Asphalt. Einen
Moment kam es mir so vor, als hätte ich den Mann aus der Kneipe mit
Nasenstecker und Schuljungenfrisur gesehen, doch ich hatte mich wohl getäuscht.
Als ich im Bus saß, konnte ich allerdings etwas weiter weg an einer Ecke die
Umrisse eines Mannes ausmachen, der in ein klappriges grünes Auto stieg und dem
Bus eine Weile folgte. Ich saß hinten und sah durch die schmutzige Heckscheibe
auf den Verkehr hinunter, konnte aber die Gesichtszüge des Autofahrers nicht
erkennen, und als wir schließlich die Schnellstraße verließen, hatten wir den
Wagen offenbar abgeschüttelt. Nach weiteren zehn, fünfzehn Minuten Fahrt war
ich fest davon überzeugt, dass das grüne Auto nur eine Ausgeburt meiner
Phantasie gewesen war und mir niemand folgte. Ich beruhigte mich wieder, doch
die Panik zuvor erinnerte mich daran, wie ich manchmal spätabends vom
Fußballplatz nach [127]  Hause gegangen war und mir irgendwelche Ungeheuer in den
Schatten eingebildet hatte. Für irrationale Ängste war ich schon immer
anfällig. Es steigt wie Hitze in mir auf, unter den Achseln, hinter den
Augenhöhlen. Schmerz oder Traurigkeit machen mir keine Angst, nur diese Panik.
Mich quälen keine Depressionen, und ich denke selten über den Tod nach. Selbst
wenn es mir nicht gutgeht, bin ich immer noch empfänglich für Schönheit, auch
wenn es nur Kleinigkeiten sind, zum Beispiel die vielen unterschiedlichen
Farbschattierungen, die eine Backsteinmauer haben kann, oder wenn jemand still
vor sich hinlächelt. Aber mit Panik kann ich nicht umgehen, genauso wenig wie
mit der gelegentlichen Unfähigkeit, meine Gedankengänge zu kontrollieren. Die
Panik kam zum Beispiel, wenn ich mich lange Zeit allein an einem Ort mit vielen
Menschen aufhielt, etwa in einem Kaufhaus oder einer Bücherei. Aber es
passierte auch, wenn ich im Gegenteil eine Weile niemanden berührt oder gesprochen
hatte. Entweder war es das überdeutliche Gefühl, beobachtet zu werden, oder die
plötzliche Überzeugung, dass ich aufgehört hatte zu existieren, nur noch eine
passive Beobachterin war, mit nichts und niemandem verbunden.
    Beides begann langsam mit

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