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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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Hat sie sie gesehen? Oder mochte sie die Haie?«
    »Scheiße, keine Ahnung, was sie mochte«, fuhr Dad mich an, und dann
sprangen seine Pop-Tarts aus dem Toaster, und wir zuckten beide zusammen. Ich
trat einen Schritt von der Theke zurück und schaute aus dem Wohnzimmerfenster,
wo ein blauer Heliumballon am Himmel schwebte. In dem Dokumentarfilm war eine
Qualle vorgekommen, die Portugiesische Galeere hieß. Sie trieb wie eine Blase
auf der Wasseroberfläche, doch ihre wulstigen blauen Tentakel reichten fünfzig
Meter in die Tiefe. Die Fangfäden, die wie Perlenschnüre aussehen, schwingen
mit dem Wasser hin und her, winden sich auf und ab wie blaue Locken. Eine
andere, die Nomura-Qualle, wiegt bis zu zweihundert Kilo und sieht aus wie eine
Riesenkugel schmelzendes Mokkaeis.
    [111]  »Freilebende Seepferdchen bleiben ein Leben lang zusammen, aber
in Aquarien sind sie promisk«, sagte ich in der Hoffnung, das Gespräch mit Dad
fortsetzen zu können, obwohl er sich schon mit den Pop-Tarts in sein Zimmer
verziehen wollte.
    »Wo hast du das Wort aufgeschnappt?«, wollte er wissen.
    »Promisk?«
    »Das ist kein schönes Wort.«
    »Es heißt, dass man eine Menge Leute liebt«, sagte ich. »Ist das was
Schlimmes?«
    Dad lachte auf und grinste mich dann an, während er eine Pop-Tart in
der Mitte durchbrach und auf die flüssige Marmeladenfüllung pustete. Er kicherte
vor sich hin.
    »Der war gut«, sagte er.
    »Wer war gut?«
    »Nichts, nichts. Du bist zum Schießen.«
    »Wieso bin ich zum Schießen?«, fragte ich verunsichert. »Was für ein
Schießen?«
    Ohne zu antworten, ging er mit dem Teller abkühlender Pop-Tarts
entschlossen in sein Zimmer. Die Tür fiel hinter ihm zu, und ich stellte den
Fernseher an. Es war nie so richtig klar, wieso meine Eltern sich am Ende für
das Baby entschieden hatten. Ich frage mich, warum niemand Lily zur Abtreibung
geraten hatte. Vielleicht haben sie und Dad zu lange damit gewartet, es Oma und
Opa zu sagen, oder vielleicht lag es daran, dass Oma aus einer katholischen
Familie stammt, auch wenn sie schon seit Jahren nicht mehr an Gott geglaubt
hatte oder in [112]  die Kirche gegangen war. Manchmal, wenn ich deprimiert bin,
denke ich selbst jetzt noch daran, wie leicht es hätte passieren können, dass
ich überhaupt nicht auf der Welt wäre, und schon sieht alles viel besser aus.

[113]  14
    Nach meinem Picknick mit David ging ich ins Hostel zurück
und bat Vanessa, mir meinen Koffer aus dem Schließfach zu geben. Ich wusste,
als Nächstes musste ich Dad anrufen und ihm sagen, dass ich noch nicht nach
Hause kam, aber bei dem Gedanken daran fühlte ich mich einsam. Heute war es
sowieso zu spät dafür; im Café in London war früher Morgen. Ich nahm es mir
gleich als Erstes für den nächsten Tag vor. In meinem Zimmer setzte ich mich
auf den Boden und lenkte mich mit Lilys Briefen und Fotos von meinem schlechten
Gewissen ab. Ich entdeckte eine Seitentasche mit Reißverschluss, die ich zuvor
übersehen hatte, wo man auf Reisen vielleicht Kosmetik verstaute. In diesem
Fach steckte eine mit »Kontakte« überschriebene Liste, die Namen und
Telefonnummern enthielt, darunter auch Teddy Fink, den ich schon von den
Weihnachtskarten kannte und von dem Foto mit Lily in Schwesterntracht. Außerdem
ein paar Streichholzbriefchen von Julie’s Place, der Bar, in der Lily mal
gearbeitet und wo sie Richard kennengelernt hatte. Ganz unten fand ich noch
einige zusammengefaltete Hochglanzseiten aus einer Zeitschrift. Eine davon war
Zahnpastawerbung, genau wie August gesagt hatte. Sie waren zerknittert und [114]  eingerissen.
Die Karten, Briefe und Dokumente waren alle sorgfältig verwahrt, nur diese
Zeitschriftenseiten hatte jemand einfach achtlos zusammengefaltet und in die
Seitentasche gestopft. Dort, wo sie geknickt worden waren, fehlte die Farbe,
und einige der Blätter klebten aneinander. Auf dem zweiten Blatt war Werbung
für ein Dessousgeschäft, und Lily stand zusammen mit einer Schar anderer
Mädchen in weißen Spitzen- BH s und Seidenslips
herum. Beide Fotos waren irgendwie albern, aber das dritte faszinierte mich.
Lily musste Anfang zwanzig gewesen sein, und die Bildunterschrift am Seitenrand
verkündete »Foto David Reed«. Das war die Aufnahme, die David am Morgen nach
Lilys Totenwache erwähnt hatte. Auf diesem Foto sah sie aus, als wisse sie
alles über die Welt, was es zu wissen gab, und als läge sie ihr zu Füßen.
Halbnackt ging sie in Höschen und einer knappen Weste eine

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