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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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ich.
    »Der hatte eine Stinkwut.«
    »Vielleicht haben ihm die Schuhe auch gefallen?«, scherzte ich.
Weder er noch ich lachte.
    »Wie wär’s, wenn du einfach nach Hause kommst?«, sagte Dad langsam,
abwägend. »Vergiss das alles und steig in ein Flugzeug. Ruf ihn gar nicht erst
an, er klang wie ein Scheißkerl. Triff dich nicht mit ihm. Lass den Koffer
einfach in deiner Unterkunft stehen oder wirf ihn weg.«
    »Du meinst, ich soll den Koffer nicht
zurückgeben?«
    »Der Mann hat sich wütend angehört und überhaupt [118]  nicht nett. Du
hast die Kleider einer Toten auf ihrer Totenwache gestohlen und erwartest von
ihrem Ehemann Verständnis? Ich sag nicht, dass es in Ordnung ist, nur, dass du
nicht gewusst hast, was du da angestellt hast. Mach der Sache ein Ende und komm
endlich nach Hause. Wir wissen nicht, was für ein Mensch sie war.«
    Ich stellte mir die Fusseln auf Dads Pulli vor, die Flusen, die sich
immer bildeten, wenn man etwas in unserer schrottigen Waschmaschine wusch.
Daphne konnte beim Fernsehen stundenlang diese Dinger von Dads Pullis pflücken,
wie Affen, die sich lausen. Die Geräusche des Fernsehers erstarben, und Dad
seufzte in den Hörer. Jetzt war es dunkel im Zimmer bis auf eine Tischleuchte
hinten auf dem Esstisch.
    »Ich muss die Sachen zurückgeben«, sagte ich. »Er wird’s schon
verstehen, wenn ich es ihm erkläre.«
    »Sie war nie deine Mutter«, sagte er. »Ein paar Stunden Wehen und
ein Chromosom reichen dafür nicht. Sie war ein hinterhältiges, gefährliches
junges Mädchen, und alles sprach dafür, dass sie eine hinterhältige,
gefährliche Frau werden würde, und wir können uns glücklich schätzen, dass wir
sie losgeworden sind. Viel weiß ich nicht über Richard, aber das eine weiß ich:
Ich will nicht, dass meine Tochter irgendwas mit ihm zu tun hat.« Dad sprach
dermaßen betont, dass ich schon fast die Spucketröpfchen auf der Muschel landen
hörte.
    »Warum? Was weißt du über ihn? Hat sie mal versucht, Kontakt zu uns
aufzunehmen, und du hast es mir verschwiegen, oder was?«
    »Nie auch nur eine Ansichtskarte«, sagte Dad.
    [119]  »Du hättest es mir gesagt, oder? Wenn sie versucht hätte, mich zu
erreichen?«
    »Sie hat sich nicht gerade überschlagen, sie war ein egoistisches
Biest.«
    »Wie du mit Nachrichten auf Anrufbeantwortern umgehst, find ich auch
nicht gerade vertrauenerweckend«, sagte ich.
    »Ich hab wirklich nicht gedacht, dass ihr Tod dir was ausmachen
würde«, sagte er.
    »Hat er aber.«
    Wir schwiegen einen Moment lang.
    »Ich kann dir bloß sagen, dass der Mann am Telefon – Richard oder
wie er heißt – böse geklungen hat«, fing Dad wieder an. »Du weißt ja, wie viel
ich für dich aufgegeben hab. Ich hab dich großgezogen.«
    »Tut mir sehr leid, was sie dir angetan hat«, sagte ich.
    »Uns«, stellte Dad klar.
    »Okay.«
    »Ich will, dass du nach Hause kommst«, antwortete Dad. »Nicht dass
du dir noch mehr Ärger einhandelst, als du eh schon hast. Du gehörst jetzt
wirklich nach Hause.«
    »Tschüss, Dad«, sagte ich.
    Ich stand neben dem Telefon und fühlte mich ausgelaugt. Hinter mir
brauste der Verkehr vorbei und pustete Abgase und schmutzige Tauben in der
Luft. Unten rechts an der Lippe habe ich eine kleine Narbe, weil ich immer,
wenn ich nervös bin oder mich auf etwas konzentriere, die Unterlippe in den
Mund nehme und draufbeiße – nur ganz leicht. Vielleicht ist mein rechter [120]  Eckzahn
schärfer als der linke, denn meine Unterlippe platzt immer nur rechts auf. Ich
beiße auf dieser einen Stelle schon so lange immer wieder herum, dass die Haut
inzwischen sofort aufreißt und einen Blutstropfen freigibt.

[121]  15
    August sah mir direkt in die Augen, als ich das Dragon
betrat, wandte den Blick aber gleich wieder ab. Es war vier Tage her, dass ich
ihn schlafend zurückgelassen hatte, und bei seinem Anblick wurde mir mulmig.
Seelenruhig servierte er ein paar Männern mit schmalen Seidenkrawatten Drinks,
ehe er an die Bar kam, wo ich inzwischen auf einem Barhocker saß. Es war
Sonntag und nicht allzu viel los. Die Gruppe Männer schlürfte ihre Martinis,
zwei Frauen teilten sich in einer Ecke ihre zweite Flasche Weißwein, einige
Touristen mit von der Sonne geröteten Nasen waren da, und ein Mann mit
Goldpiercing trank allein am Fenster Bier. Er hatte einen Stiernacken und
fettige schwarze Haare mit Seitenscheitel wie ein Schuljunge. Ich konnte den
Blick nicht gleich abwenden und überlegte krampfhaft, woher ich ihn kannte.
    August

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