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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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verkniff mir die Frage. An diesem Nachmittag auf dem Parkplatz
fotografierte David einen Filmstar, den ich nicht erkannte. Der nicht mehr ganz
junge, untersetzte Mann mit Halbglatze, der aus der schweren Stahltür des
Platinum Club trat, sah ungepflegt aus, das verschwitzte Hemd hing ihm schlaff
von den Schultern, und sein kahler Schädel glühte. Der Mann tat mir nicht
einmal besonders leid. Er lief zu seinem Auto, als wäre er auf dem Weg zum
Galgen, wie der Bilderbuchschurke in einem Krimi, den man zu seinem Leidwesen
unter die Sonne von Los Angeles verpflanzt hatte. Der Schurke bekam nicht
einmal mit, dass er fotografiert wurde. Am nächsten Tag erschien in der Los Angeles Times ein Artikel über die verheerende
Spielsucht des Filmstars. Ich fragte mich, warum David mich eingeladen hatte,
seine Sandwiches mit ihm zu teilen. War er einfach nur nett, oder hatte er mir
meine Verwandtschaft mit Lily angesehen? Hielt er es wirklich für einen Zufall,
dass wir uns in dem Café getroffen hatten?
    »Woher hast du deine Narben?«, fragte ich ihn nach langem Schweigen.
Jetzt roch das Auto nach Oreo-Kekskrümeln und Leder. Genau wie meine sah [104]  man
seine Narben nicht auf den ersten Blick, sie blitzten nur bei bestimmten
Lichtverhältnissen kurz auf.
    »Ich neige zu Unfällen«, sagte er
lächelnd. »Und du?«
    »Hauptsächlich aus Prügeleien«, antwortete ich, verschränkte die
Arme und berührte mein Gesicht mit den Fingerspitzen.
    »Prügeleien?« Er lächelte wieder.
    »Beim Fußballspielen. Weiß auch nicht«, sagte ich schulterzuckend.
»Keine richtigen Kämpfe. Wo kommst du her?«
    »Coney Island. Schon mal da gewesen?«
    »Nein. Ist das nicht ein Vergnügungspark in der Nähe von New York?«
    David lachte. »Ja, den gibt’s da auch«, sagte er. »Aber dort wohnen
auch Leute.« Ich wurde rot und kam mir dumm vor.
    »Und hast du im Vergnügungspark gearbeitet, als Schausteller?« Ich
ließ nicht locker, war bemüht, das Wort ›Schausteller‹ sogar mit amerikanischem
Akzent auszusprechen, wie ich es mal in einer Fernsehserie gehört hatte. Was
ein Schausteller eigentlich war, wusste ich gar nicht, und mein Akzent war
erbärmlich.
    »Na ja, irgendwie schon«, sagte er lachend. »Mein Dad war als
Mechaniker im Astroland Amusement Park angestellt. Kein typischer
Vergnügungspark, aber schon so was in der Richtung. Meine Mutter ist gestorben,
als ich zwölf war, aber vorher hat sie dort an einem Popcorn-Stand bedient.
Meine erste Freundin war Emma, eine Meerjungfrau. Sie hat in der Coney Island
Freak Show gearbeitet.«
    [105]  »Eine Meerjungfrau? Wie hat das funktioniert?«, sagte ich
lachend. In diesem Moment war ich glücklich, dazusitzen und über Meerjungfrauen
und Freakshows zu reden. Ich dachte sogar kurz daran, wie ich Dad davon
erzählen würde. Aber ihn hätte das wohl kaum interessiert. In seiner Welt galt
es, irgendwie über die Runden zu kommen. Man lebte nicht, sondern man machte
weiter. Vielleicht war Lily deshalb gegangen. Er hatte mich vor drei Tagen zurückerwartet,
und ich hatte noch nicht angerufen, um es ihm zu erklären. Mittlerweile war er
bestimmt furchtbar böse, aber ich wusste, dass er nicht so weit gehen würde, die
Polizei einzuschalten.
    »Die Frage, wie Meerjungfrauen Liebe machen, hat schon für viel
Verwirrung gesorgt«, sagte David, »aber meiner Erfahrung nach ziehen sie den
Reißverschluss ihrer Lycra-Schwanzflosse auf, öffnen die glitzernden
Plastik-Muschelschalen um ihre knospenden Brüste und knutschen im schmuddeligen
Hinterzimmer einer Coney-Island-Bühne mit einem rum.« Als ich lachte, fuhr er
fort: »Sie hat mich wegen eines Maklers sitzenlassen, der dreimal so alt war
wie sie.«
    »Du hast wirklich einen schlechten Geschmack, was Frauen angeht«,
stellte ich fest.
    »Andere Mütter haben auch schöne Töchter.« Er lachte.
    »Sind solche Vergleiche bei dir nicht schon etwas abgenutzt?«, sagte
ich lächelnd, und möglicherweise wurde er rot. Er sah stur geradeaus durch die
Windschutzscheibe. Mir fiel sein bedrücktes Gesicht wieder ein, als ich ihn vor
ein paar Tagen im Auto beobachtet hatte.
    »Ein paar Sommer nachdem Emma mit mir Schluss [106]  gemacht hatte«,
fuhr er nachdenklich fort, »bekam ein Freund von mir einen Job in Disneyland.
Zwei Monate lang war er Donald Duck, und er fing was mit Dornröschen an – die,
kurioserweise, süchtig nach Aufputschmitteln war. An einem Wochenende bin ich
rübergefahren, um ihn zu besuchen, und bin mit einer im Bett

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