Pink Hotel
nichts zu sagen«, erklärte die Frau, die ans Telefon ging. »Bitte rufen
Sie nicht mehr hier an.« Damit legte sie auf, und ich war immer noch keinen
Schritt weiter. Sie war offenbar beschäftigt und hatte verärgert geklungen. Als
ich schließlich die letzte Nummer auf der Liste anrief, ging eine Miss Bianca
Forbes ans Telefon. Sie zeigte sich ganz begeistert, als sie hörte, dass meine
Mutter ihre frühere Pflegerin gewesen war und dass ich nach Informationen über
sie suchte.
»Oh! Nun, sie kam jahrelang jeden Nachmittag hierher, wir kannten
sie gut«, sagte die lebhafte Stimme. »Natürlich erinnern wir uns an sie. Es tut
mir so leid, dass sie gestorben ist. Das arme Ding. Warum kommen Sie nicht
heute Nachmittag auf einen Eistee vorbei, und wir erzählen Ihnen von ihr? Das
wird ein Spaß.« So stand ich nun also vor der Holztür zum Garten einer Villa in
Laurel Canyon, und keiner machte auf. Die [210] Adresse stimmte jedenfalls, weil
ich zum ersten Mal in Los Angeles ein Taxi genommen hatte. Lucy und Bianca
Forbes wohnten am oberen Ende einer Straße namens Eden Drive, die von der Wonderland
Avenue abging. So eine Adresse vergisst man nicht.
Ich klopfte noch einmal und drückte dann auf eine Klingel, die stumm
blieb. Doch der Hund bellte nun lauter, und endlich hörte ich Schritte Richtung
Tür schlurfen.
»Hallo?«, sagte eine Frauenstimme durch die Tür. Dann öffnete sie
sich einen Fingerbreit, so dass zwei Türketten sichtbar wurden wie
Speichelfäden in einem übergroßen Mund. Die Frau, die ich durch den Spalt sah,
war klein, mittleren Alters, hatte große Augen, schwarze Haare und zog
geschwungene Augenbrauen hoch. Zu ihren Füßen kläffte ein Pudel. »Miss Lilys
Tochter, stimmt’s? Das sie haben erwähnt, ja«, sagte die Frau in holprigem
Englisch und öffnete die Tür ganz. Sie packte den Pudel hart am Halsband und
zog ihn von meinen Fußknöcheln weg. Sie trug ein schwarzes T-Shirt und schwarze
Leggings, ihre Haare waren oben am Kopf sorgfältig zu einem glänzenden
pechschwarzen Haarknoten gebunden, was ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit dem
Pudel verlieh. »Sie sind auf der Terrasse«, sagte sie und brachte den Hund weg.
Ich ging ein paar steinerne Stufen hinunter in einen abschüssigen, ummauerten
Garten, in dem es nach Laub und Chlor roch. Am unteren Ende befand sich der
Swimmingpool, am oberen eine große Veranda, wo auf bunten Holzstühlen zwei
völlig gleich aussehende alte Frauen saßen. Beide winkten, und ich [211] ging zu
ihnen, bemüht, nicht über geborstene Wegplatten und Baumwurzeln zu stolpern.
»Hallo, hallo!«, rief eine der Frauen.
»Sie haben es geschafft!«
»Lassen Sie sich mal anschauen!«, sagte die andere. Sie waren
offensichtlich Zwillinge. Vielleicht hockte die eine ein wenig gebeugter auf
ihrem Stuhl, und die andere war etwas runzliger am Hals, aber im Wesentlichen
waren sie synchron gealtert. Sie ähnelten Elfen, beide mit spitzen
orientalischen Pantöffelchen und Baumwollkleidern und identischen schweren
Goldohrringen. ›Kauzig‹, dachte ich, was im Grunde »absonderlich und bizarr«
bedeutet, doch ich musste bei diesem Wort immer an ebensolche ältlichen Elfen
denken, von Goldschmuck überhäuft. Das Haus hinter ihnen sah wuchtig aus. Vier
weiße Säulen stützten einen Balkon im ersten Stock, das schmiedeeiserne
Geländer hatte ein aufwendiges Blumenmuster. Über dem zweiten Stock neigte sich
ein mit rostroten Ziegeln gedecktes Dach, das zur Farbe ihrer Pantoffeln
passte.
»Sie sehen ihr kein bisschen ähnlich«, sagte eine der Frauen und
musterte mich über den Rand ihrer getönten Brille hinweg.
»O doch«, widersprach die andere. »Dreh dich mal ein bisschen nach
links. Ist das nicht Lilys Schmollmund, genau da, der Schwung ihrer Lippen?«
Und beide Frauen musterten schweigend mein Profil, die Konturen meines Mundes.
»Wir hatten ja keine Ahnung, dass sie eine Tochter hatte.«
[212] »Das wussten wohl die wenigsten«, erwiderte ich.
»Wieso das denn?«, sagte eine der Zwillinge.
»Als sie mich bekam, war sie erst vierzehn.«
»Das ist ja furchtbar«, sagte die andere.
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich.
»Nun, ich heiße Bianca«, stellte sich die etwas gebeugter Sitzende
vor, »und das ist Laurie Lee.« Beide strahlten mich an. Mir fiel auf, dass die
pudelähnliche Frau nicht weit gegangen war, sondern auf einem Liegestuhl saß
und in unsere Richtung sah. »Und Lily kam vor Jahren zum Arbeiten zu uns, als
sie gerade erst als Pflegerin anfing.
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