Pink Hotel
kam auch danach immer mal wieder
zum Mittagessen vorbei. Sie hatte Probleme, das war alles.«
»Weißt du noch, wie sie den Plumpudding flambieren wollte und ihre
Haare Feuer fingen?«, sagte Laurie Lee zu ihrer Schwester.
»Wusch! Schon standen sie in Flammen«, sagte Bianca lächelnd.
»Danach kaufte sie in einem Kostümladen fünf verschiedenfarbige
Perücken. An einem Tag trug sie einen neonblauen Bubikopf –«
»Am nächsten war sie eine blonde Sexbombe.«
»Was hat sie uns gefehlt, als sie weg war.«
»Es war einfach nicht mehr dasselbe.«
Ich glaube, die Zwillinge schwelgten noch weiter in Erinnerungen,
doch ich verlor den Faden. Meine Gedanken schweiften ab: zu Richard und zu
Diebstahl und zu der Rolle, die David bei alledem spielte.
[216] 26
Ein paar Abende nach diesem Besuch teilte ich mir mit
David einen Eisbecher. Es regnete, genau wie an dem Abend mit August in der
Bar, doch diesmal schien der Regen wärmer zu sein, dramatischer. Los Angeles
ist nicht für Regen gebaut, und alle geraten in Panik. Die Luft füllt sich mit
den Sirenen der Krankenwagen, wenn Öl durch den aufgeweichten Asphalt drückt
und sich die Unfälle häufen. In der Ecke des Diners, in dem David und ich
saßen, hing ein Flachbildschirm, auf dem die Nachrichten liefen. Eine lächelnde
Blondine berichtete von Verkehrsstaus und Todesopfern. Bei Malibu war ein Auto
eine Böschung hinuntergestürzt, wobei eine Prominente auf dem Heimweg von einer
Wohltätigkeitsveranstaltung ums Leben kam. Zuvor war in Englewood ein Bus
voller Kinder auf dem Rückweg von einem Ausflug ins Naturkundemuseum
verunglückt. Ein Kind war gestorben, zweiundzwanzig waren verletzt. Am selben
Abend hatte es vor einem Club auch noch eine Auseinandersetzung zwischen Gangs
gegeben, bei der zwei der Gangmitglieder und fünf unbeteiligte Passanten
getötet wurden.
David und ich hingen beide unseren Gedanken nach. Ich beschäftigte
mich mit einem Computerspiel auf [217] seinem Handy. Es sah neu aus, und alle Nummern
im Speicher gehörten zu Promi-Friseurläden, Kaufhäusern und dergleichen, nicht
zu Menschen.
»Ich hab mein altes Handy weggeworfen, als ich mit dem Trinken
aufgehört habe«, sagte er. »Vor etwas über einem Monat. Es ist leichter
aufzuhören, wenn mich meine alten Freunde nicht immer wieder dazu verleiten.«
Ich blickte von dem Spiel auf und sah ihm in die Augen – mit diesem Geständnis
ergaben einige Dinge allmählich Sinn. Sechs Wochen waren seit Lilys Totenwache
vergangen, vier seit Davids Geburtstagsessen in dem Thai-Restaurant. Es war
viel passiert in diesem einen Monat, der mir wesentlich länger vorkam, und ich
weiß nicht, ob mir je ein Mensch so vertraut war, wie ich David damals zu kennen
glaubte. Doch noch immer passten einige Puzzleteile nicht recht zusammen.
Manchmal kam er mir linkisch und wie ein Teenager vor, was ich darauf zurückführte,
dass er früher regelmäßig betrunken gewesen war. Er hatte kaum Freunde,
wahrscheinlich weil es alles Saufkumpane gewesen waren. Dann waren da seine
Narben, sein Gewichtsverlust, seine Traurigkeit.
»Hast du nach Lilys Tod aufgehört zu trinken?«, fragte ich.
Er schwieg.
»So ist es«, sagte er dann.
»Weil Lily gestorben ist?«
Wieder hielt er inne und knetete eine seiner kräftigen Schultern. Er
sah viel besser aus als damals bei unserem ersten gemeinsamen Mittagessen im
Auto vor dem [218] Platinum Club. Die Tränensäcke unter seinen Augen waren weniger
stark geschwollen, und er sah nicht mehr ganz so abgemagert aus. Er schluckte
einen Mundvoll Eiscreme mit Schokosauce runter.
»Ich hör mich an wie ein Poesiealbum«, sagte er grinsend, doch es
war ein aufgesetztes Grinsen, das gleich wieder von ihm abfiel und zu einem
Stirnrunzeln wurde. Er wusste nicht, wo er hinsehen sollte, als er schließlich
weitersprach. »Ich hab eine Menge Dreck am Stecken, was ich bedaure, so sieht
es aus. Ich hab Scheiße gebaut. Und ich will nie mehr etwas bedauern. Mein
Leben soll nicht… bedauerlich sein.« Er sah weg, zum
Fernseher hinüber. »Damit will ich sagen, dass du etwas bewirkt hast.« Er
zögerte. »Du hast geholfen«, murmelte er, den Blick auf den Fernseher
gerichtet.
Ich runzelte die Stirn und stotterte:
»Und Lily?«
»Was ist mit ihr?«, sagte er und wirkte verwirrt. Ich wusste, dass
er von mir einen Kommentar erwartete zu dem, was er gerade eingestanden hatte,
entweder über seinen Alkoholkonsum oder meinen Einfluss auf seine Abstinenz.
Doch es war wie ein Zwang, ich
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