Pink Hotel
Schmerzhaft schoben sie sich aus der Haut wie Zähne aus
wundem Zahnfleisch. Meine Wirbelsäule wurde immer länger, bis ich laut
aufschrie, als sie aus dem Steißbein herauswuchs und zu einem Schwanz wurde.
Meine Zunge verlängerte sich, während die Beine schrumpften, und als eine neue
Familie in den Wüstenbungalow einzog, beachtete niemand den Gecko im Garten.
Beim Aufwachen schnappte ich gierig nach Luft, froh darüber, David
zu sehen. Manchmal strich er mir übers Haar, und ich entzog mich ihm, wollte
nicht so gönnerhaft behandelt werden. Manchmal liebten wir uns nach meinen
Alpträumen, dann fühlte ich mich noch mehr wie ein seltsames Tier. Gelegentlich
hielt er mich dann sogar auf dem Bett oder auf dem Fußboden fest. Wenn es mir
zu viel wurde, bäumte ich mich auf, meine Hüften wanden sich reflexhaft, und
meine Handflächen pressten sich genau in die Vertiefungen an seinen Schultern.
Er drückte mich hart nach unten, als würden wir miteinander kämpfen. Wenn er zu
nahe kam, schob ich ihn weg, und er zog mich wieder an sich, dann schob er mich
weg, und ich drückte mich an ihn, und dabei bewegten wir uns kaum. Ich liebte
ihn. Meine Haut sehnte sich danach, dass er mir weh tat, doch ich bat ihn nicht
darum. Mir war [207] zwar bewusst, dass ich bei ihm war, ihn küsste, ihn berührte,
doch manchmal wollte ich für unsere Verbindung und für meine physische Existenz
stärkere Beweise haben. Ich existierte mehr, wenn er mich berührte. Doch ich
war auf Schmerzen aus. Ich wollte den Beweis, den Schmerz, die rauschhafte
Gewissheit haben, mit einem anderen Menschen verbunden zu sein. Aber ich konnte
mich nur unter ihm aufbäumen und kämpfen; mein Bedürfnis konnte ich nicht
ausdrücken.
Dem kam ich kurioserweise am nächsten, als ich einmal die Frage
stellte:
»Hast du schon mal ein Huhn getötet?«
Es ging mir gar nicht um das Thema Schmerz, ich hatte nur einen
Dokumentarfilm über das Sexualleben von Tieren gesehen. Wenn beispielsweise ein
Otterweibchen brünstig ist, gleitet das Männchen im fließenden Wasser von unten
auf sie zu, und sie paaren sich, während sie gemeinsam langsam im Fluss
schwimmen.
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte David, zündete sich eine Zigarette
an und lehnte sich bequem zurück. Die Glut streifte er in einen silbernen
Aschenbecher.
»Man drückt auf ihren Rücken, so dass sie glauben, sie hätten gleich
Sex«, sagte ich, »und dann dreht man ihnen den Hals um.«
»Ich würde dir nie weh tun«, sagte er.
Ich lachte über seinen Ernst und küsste ihn auf die Schulter.
[208] 25
Zwei ehemalige Patientinnen Lilys wohnten in einer
heruntergekommenen, im spanischen Stil erbauten Villa im Laurel Canyon. Die
Adresse stand auf der »Kontaktliste«, die ich in dem Reißverschlussfach des
roten Koffers gefunden hatte. In der Mittagssonne sah man schon von der Straße
aus, dass die Farbe vom Kalkputz blätterte. Doch oben in den Bergen war es
kühl, anders als der heiße Smog in Thai Town oder Little Armenia. Sonnenflecken
huschten über die Straße, über mir zitterten Bäume. In der Auffahrt stand ein
riesiger Toyota-Minivan, und hinter einem Gartentor – offenbar der einzige
Zugang zum Haus – hörte man das Kläffen eines Hundes. Der Diebstahl meines
Rucksacks war über zwei Wochen her, und allmählich sah ich mich nicht mehr
ständig nach Richard oder seinem Freund um. An diesem Vormittag hatte ich alle
Leute auf Lilys Liste angerufen. Nur einer von ihnen konnte mir etwas
Brauchbares über Lily sagen. Gleich als Erstes hatte ich eine ungültige Nummer
gewählt – entweder war sie falsch notiert worden oder mittlerweile
abgeschaltet. Unter der zweiten Nummer erreichte ich einen Kanadier, der noch
recht jung klang und dessen Großmutter eine von Lilys Patientinnen gewesen war,
mittlerweile aber in einem [209] Hospiz wohnte. Viel mehr wusste er auch nicht
über Lily; außerdem schien er es eilig zu haben, das Gespräch zu beenden.
Vermutlich, um sich wieder irgendeiner Fernsehsendung zu widmen, die im Hintergrund
plärrte.
»Sie war nur ein paar Wochen hier«, hatte der Kanadier gesagt. »Hat
wohl nicht funktioniert oder so was, aber genau weiß ich es nicht mehr.«
Die vorletzte Nummer gehörte Teddy Fink, vermutlich derselbe Teddy
wie auf dem Foto mit Lily, auf dessen Rückseite jemand die Worte »Malibu Mansions«
geschrieben hatte, und von den Ansichtskarten, die Lily aufgehoben hatte.
»Mr Fink ist leider vor vier Jahren gestorben, und ich habe über Mrs
Harris
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