Pink Hotel
Nacht im Krankenhaus, mit Elektroden an den
Handgelenken. Die Zimmerwände hatten die Farbe blasser Eierschalen, und neben
dem Bett stand eine weiße Porzellanlampe mit rosa Blumenschirm, außerdem ein
Plastikbecher mit Wasser und eine Box mit Papiertaschentüchern. Das Fenster
ging auf einen anderen Trakt des Krankenhauses hinaus. Ich sah einen Mann
mittleren Alters schlafend in einem Bett und eine Schwester, die ihn sorgsam zudeckte.
Hinter einem anderen Fenster war eine Schwesternstation, in der sich eine
magere Frau die Nägel feilte, den Blick auf einen winzigen Fernseher gerichtet.
In meinem Zimmer hing direkt unter der Decke eine Videokamera, die das gesamte
Zimmer überwachte, abgesehen von einem kleinen dreieckigen Stück direkt
dahinter.
Dad schäumte vor Wut, als der Arzt ihm berichtete, ich hätte die
ganze Nacht keine Minute geschlafen, sondern die ganze Zeit damit verbracht,
außer Sichtweite auf die Wand hinter der Kamera Delphine zu malen oder vor der
Kamera Grimassen zu schneiden.
»Weißt du eigentlich, was mich diese Nacht gekostet hat?«, schrie
Dad mich an, als wir am nächsten Morgen in den Zug stiegen. Ich schüttelte den
Kopf. »Jetzt wollen sie, dass du zu wöchentlichen Therapiesitzungen kommst. Sie
halten dich für verrückt. Aber nicht mit mir! Wir alle [204] würden unser Leben
gern schlafend oder mit Delphinen verbringen, aber wir müssen arbeiten. Du bist
ein kleines Mädchen, das gern im Mittelpunkt steht und sich nicht benehmen
kann. Mehr nicht. Ist dir das klar? Du denkst immer nur an dich. Genau wie
deine Scheißmutter«, sagte er. »Jetzt reißt du dich gefälligst zusammen und
hörst mit dem Quatsch auf«, sagte er, als der Zug anfuhr.
Ich revanchierte mich mit eisigem Schweigen und sah aus dem Fenster
auf Vorstadtdächer, gelegentlich unterbrochen von bröckligen Mauern und
Graffiti – »Biss«, »Slum«, »ideal« stand in kaleidoskopischer Blasenschrift auf
den Mauern. Über den Schornsteinen glitt der Himmel vorbei, und unser Zug fraß
sich in die Stadt hinein. ›Ablution‹, dachte ich, in Gedanken mal wieder bei
Opas Wörterbuch. Als der Zug unter die Erde fuhr, beschloss ich widerwillig,
nicht mehr ständig zu schlafen, hauptsächlich wegen der wenig erfreulichen
Aussicht, einmal in der Woche den langweiligen Arzt aufsuchen zu müssen. Obwohl
ich rechtschaffen müde war, blieb ich während der gesamten Zugfahrt wach und
sah mir an diesem Abend mit Dad bis Mitternacht den billigen Horrorfilm Curse of the Puppet Master an, noch lange nachdem Daphne
Valium eingeworfen hatte und auf Dads Schoß weggedämmert war. In den nächsten
paar Jahren wachte ich manchmal an anderen Orten auf als dort, wo ich
eingeschlafen war, oder ich träumte Dinge, die ich für wahr hielt, obwohl sie
es nicht waren, erwähnte diese Schlafdämonen aber Dad gegenüber nie wieder.
[205] 24
Im Großen und Ganzen schlief ich in Davids Bett
überraschend tief, fiel in einen Brunnen unruhiger Ohnmacht, während er neben
mir schlief, aber auch während er durch die Wohnung tigerte, Zeitschriften las
und seine Kameras reparierte. Er erzählte, dass ich im Schlaf wimmerte, was mir
peinlich war, doch ich wollte ihm nicht von den Träumen erzählen, in denen ich
bewusstlos wurde und fiel, oder von den blutenden Sonnenuntergängen und der
Schmiere im Mund eines Babys. Auch von einem anderen, immer wiederkehrenden
Traum erzählte ich ihm nicht, einem schrecklichen, durch Enkidu, Gilgamesch und
Lily angeregten Alptraum, der in den wenigen idyllischen Wochen begann, als
David und ich ein Bett teilten. In der Traumlandschaft stand ein verlassenes
Dorf aus Betonhäusern und kargen Kakteengärten. Etwas abseits spielte ich mit
Wüstengeckos und Chamäleons, ließ ihre Füße mit den Hautlappen über meinen
Körper und meinen Kopf laufen, während ich auf dem Boden lag. Plötzlich
überkommt mich Panik, und ich muss scharf Luft holen, als mir etwas einfällt:
Wir sollen an diesem Tag ausziehen! Sofort laufe ich auf mein Haus zu, nackte Füße
hetzen über heißen Sand und Dornengestrüpp, Geckos purzeln rückwärts von meiner [206] Haut, doch als ich in die Küche komme, ist sie leer. Gerade rechtzeitig
renne ich nach vorn, um zu sehen, wie David und Lily in Davids neuem schwarzen SUV davonfahren. Manchmal küssen sie sich, ehe sie
losfahren, aber sie sehen sich nie um. Das Schlimmste an diesem Traum war,
dass, als keiner kam, um mich abzuholen, mit der Zeit schillernde Schuppen auf
meinem Fleisch wuchsen.
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