Pink Hotel
musste einfach fragen: »War Lily Alkoholikerin?
Ist sie deshalb gestorben? War sie drogen- oder alkoholsüchtig oder was?«
Davids große grüne Augen sahen mich unverwandt an. Sein Anblick
rührte mich, die Schultern nach vorn gezogen vor dem regennassen Fenster, mit
dem finsteren Blick und herabhängendem Mundwinkel, der so typisch für ihn war.
Ich dachte daran, wie er während der Totenwache oben im Pink Hotel auf Lilys
Bett gesessen und [219] an seinem Daumen gesaugt hatte, verletzt bei dem Versuch,
Lilys Foto aus dem Rahmen zu holen.
»Weiß ich nicht«, sagte er. Er sah kurz auf seine Hände, dann aus
dem Fenster und dann wieder mich an. »Ich hätte den Mund halten sollen.«
»Wieso?«
»Warum landen wir immer wieder bei dieser Party, in die du zufällig
hineinspaziert bist?«, fragte er. »Mir ist klar, weshalb ich diese Frau nicht
vergessen kann, aber warum erwähnst du sie immer wieder? Sie hat nichts mit dir
zu tun.«
»Weil sie etwas mit dir zu tun hat«, log ich schuldbewusst. »Weiß
auch nicht. Weil sie dir etwas bedeutet hat, weil ich ihre Klamotten trage… Es
gibt eine Million Gründe.«
»Was soll das heißen, du trägst ihre
Klamotten?«
»Du warst zwar besoffen, als wir uns kennengelernt haben, aber ich
hab ihre Klamotten geklaut – weißt du noch? Du hast mich Grabräuberin genannt.«
»Natürlich weiß ich das. Aber im Café hast du behauptet, du hättest
sie verkauft. Du hast mit einer Plastiktüte vor meiner Tür gestanden.«
»Eine Plastiktüte mit ihren Klamotten«, sagte ich. »Einem Teil
davon. Die, die ich nicht verkauft hab.«
»Du hast behauptet, du hättest ihre Sachen verkauft. Darum nahm ich
an, es wären neue. Die Plastiktüte war aus dem Klamottenladen über dem Supermarkt.
Ich dachte, es wären neue. Du hättest ihre Kleider verkauft.«
»Ich sagte, ich hab einen Teil ihrer
Klamotten verkauft.«
[220] »Scheiße.«
»Wieso machst du so einen Aufstand? Ich
dachte, du wüsstest es.«
»Was hast du gerade an?«
»Ihre Sachen«, sagte ich, und wir sahen beide an meinem weißen
Baumwollkleid mit der schwarzen Knopfleiste hinunter, dasselbe weiße Kleid, das
ich anhatte, als ich an seiner Tür geklingelt hatte. »Ihre Schuhe. Ihren BH . Ihr Höschen.«
Er wurde blass, so weiß wie Lilys Kleid. Und auch ich fühlte mich
elend, weil ich mich jetzt reingeritten hatte.
»Du bist verrückt. Das ist ekelhaft«, sagte er.
»Sag so etwas nicht.«
»Du bist sogar völlig durchgedreht.«
»Hör auf. Eben erst hast du zugegeben, dass du dich an die Hälfte
deines Lebens nicht erinnerst. Nenn mich nicht verrückt.«
»Du hast behauptet, du hättest sie
verkauft.«
»Du klingst wie eine Schallplatte, die hängt. Einen – Teil – davon.
Einen Teil habe ich verkauft, David, und den Rest behalten. Es sind doch bloß
Klamotten«, sagte ich. »Wo ist das Problem?«
»Das Problem ist, dass sie einer Toten
gehören.«
»Du wärst nicht hier mit mir, wenn ich noch Jogginghosen aus Polyester
und ein dreckiges Basecap tragen würde!«
»So was Albernes habe ich noch nie gehört«, sagte David und rang
sich ein Lächeln ab, das gleich wieder in sich zusammenfiel.
[221] »Ich weiß aber, dass es so wäre«, fuhr ich ihn an, »weil du mich
an jenem Morgen sitzengelassen hast.«
»Weil ich dich nicht vollkotzen wollte! Es lag nicht an deinen
Scheißklamotten. Hältst du mich echt für so oberflächlich?«
»Ich glaube, du magst Lilys Geschmack.
Sie hatte Stil. Ich nicht.«
»Aber Lilys Stil ist mir scheißegal. Du bist mir nicht scheißegal.
Vielleicht hat es am Strand nicht gleich gefunkt, aber ich hatte gerade etwa
zwölf Tage am Stück einen Rausch. Wäre ich nüchtern gewesen, hätte ich mich
schon da in dich verknallt. Das hatte überhaupt nichts mit den Klamotten zu
tun.«
»Du glaubst vielleicht nicht, dass sie wichtig sind«, sagte ich.
»Sind sie aber.«
»Es sind die Sachen einer Toten.«
»Was ich gar nicht bestreite«, sagte ich. »Das ist mir klar.«
»Ich bemühe mich, etwas sehr Schwieriges zu tun. Eins kann ich dabei
bestimmt nicht gebrauchen, nämlich dass eine Touristin in geklauten Klamotten
in meiner Wohnung schläft«, sagte er.
»Du hast mich eingeladen«, sagte ich. »Das Hostel war völlig okay.«
»Wie auch immer.«
»Morgen früh bin ich weg.«
Schweigend fuhren wir zu ihm, mein Hintern klebte auf den
schweißfeuchten Ledersitzen des SUV . Ich dachte
an seine Worte, dass er sich schon am Strand in mich verknallt hätte, wenn er
nicht so
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