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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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sie jeden Moment
die Iris zu sprengen schienen, und sie kippte in beängstigendem Tempo Wodka
hinunter. »Sie haben phantastische Partys geschmissen«, sagte sie. »Hoffentlich
geht es ihm gut.«
    »Hat irgendwer von ihm gehört?«
    »Seit der Totenwache niemand mehr.«
    »Ist je ein gewisser David Reed hier gewesen? Hat er sich vielleicht
manchmal mit Lily in der Bar getroffen?«, fragte ich.
    »Ich vergesse nie einen Namen«, sie hielt inne, fuhr dann fort:
»Aber da waren jede Menge Typen. Richard wusste das. Sie war so schön.«
    »Affären?«
    »Klar. Natürlich. Mein Gott.«
    »Mit wem?«
    »Lily und ich, wir waren nicht so eng miteinander, nicht, nachdem
sie sich von diesem hübschen Knaben scheiden ließ und höher hinauswollte. Sie
folgte mir wie ein Hund, als sie anfing, hier zu arbeiten, fand mich umwerfend,
doch sie lernte rasch. Jedenfalls hätte sie mir nichts von ihren Seitensprüngen
erzählt, von den Männern, die sie gefickt hat, weil ich mit Richard enger
befreundet war als mit ihr.«
    »Bist du sicher, dass sie Affären hatte?«
    Julie nickte und machte sich noch einen Drink.
    »Sie war Model, stimmt’s? Hatte sie was mit ihren Fotografen?«,
fragte ich und lächelte Julie an.
    »Dass sie als Model arbeitete, gefiel Richard gar nicht. Er sah sie
lieber als Krankenpflegerin. Verständlich. Ihr Ego brauchte keine
Streicheleinheiten. Und sie war gern [246]  Krankenpflegerin, das kam ihnen beiden
entgegen. Gott, Richard hat sie geliebt.«
    »Da war er offenbar nicht der Einzige«, sagte ich.
    »Und dann bekamen sie das Hotel, also hat sie mit der Krankenpflege
aufgehört«, fuhr Julie fort. »Ich glaube, eine Zeitlang waren sie glücklich.«
    »Wann genau haben sie das Hotel
gekauft?«
    »Oh«, machte sie, und im selben Moment rutschte ihr Ellbogen von der
Theke. Fast schlug sie mit dem Kinn auf die metallene Oberfläche, ehe sie sich
kichernd wieder aufrichtete. Die aufgeworfenen schmalen Lippen passten nicht zu
ihr – irgendwie dehnten sie ihr Gesicht in die falschen Richtungen. Sie sah so
dünn aus wie eine Perücke auf einer Wäscheklammer. Ich wusste nie so recht, was
an Julies Wortschwällen stimmte. Manchmal nippte sie am Tresen an einer Cola
und musterte herablassend die jungen Leute um sie herum, die härtere Sachen
tranken und mit glänzenden Augen vom Klo kamen. Gelegentlich war sie sternhagelvoll
oder zugedröhnt und flüsterte mir mit bleichen Lippen etwas zu, die Luft kauend
und als zerhackte Wörter wieder ausspuckend. Sie erzählte von den Butterblumen
zu Hause in ihrem Garten, davon, wie sie sich einmal auf einem Campingurlaub
den Hintern mit den Blättern eines Giftsumachs abgewischt hatte und fast
gestorben wäre, von ihrer zwanghaften Angst vor Kakerlaken, die Julie an ihren
Vater erinnerten. Eines Nachts betrank sie sich bis zur Bewusstlosigkeit, und
ich brachte sie schließlich mit dem Taxi nach Hause, während einer der
blauäugigen Barkeeper abschloss. Julie wohnte in der Nähe der Bar, [247]  in den
versmogten Hügeln über dem Griffith Park. Von außen wirkte ihre Wohnung klein,
der farbige Putz an den Mauern blätterte ab, und Bäume schwankten wie große
träge Schirme vor den Fenstern. Schließlich fanden wir ihre Schlüssel in den
mit Papiertaschentüchern vollgestopften Tiefen ihrer Schlangenlederhandtasche
und stolperten in den Flur. Zusätzlich zum Erdgeschoss bewohnte sie noch das
Souterrain; oben lag ein abgewetzter roter Teppich, und an der Wand hing das
gerahmte Werbeplakat einer Nussknacker -Aufführung im
New York State Theater vor zwanzig Jahren. Eine schmale Treppe führte hinab in
ein Wohnzimmer mit Echtholzparkett und gelben Spitzengardinen, die einen
atemberaubenden Blick auf das glitzernde nächtliche Los Angeles verdeckten. Es
roch nach Suppe, genau wie Julie. Möbel gab es keine, abgesehen von einem
grauen Pilatesball, einer blauen Schaumstoffmatte und einer mit schwarzem Leder
bezogenen Drückbank. Auf der Küchenanrichte lagen Drogenutensilien – eine
Spritze, ein Feuerzeug – neben ein paar Möhrenschnitzen. Überall an den Wänden
hingen gerahmte Fotos von Julie, in verschiedenen Lebensabschnitten. Man sah
eine hinter der Bar grinsende Julie, Julie mit einem Mann in einem Ruderboot,
Julie, die auf einem kleinen Küchentisch Geburtstagskerzen auspustete. Ein Foto
fiel mir besonders auf: Es zeigte Julie und Richard mit etlichen anderen, mir
unbekannten Leuten, wie sie draußen vor Julies Bar mit ihren Motorrädern
posierten. Richard hatte ein

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