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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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begegnet sind, hattest Du einen kleinen
roten Regenschirm in der Hand«, schrieb der Mann. »Weißt Du noch? Und jetzt
muss ich bei der Farbe Rot immer an Dich denken.« Ich versuchte, mich auf die
Worte zu konzentrieren. »Später lernte ich Deine roten Kleidchen kennen«, fuhr
der Brief fort, »und die Armee feuerroter Lippenstifte auf Deinem Schminktisch.
Dein Anblick, bei diesem ersten Mal, ließ mich augenblicklich an
Rotlichtbezirke denken, an den lockenden Stofffetzen des Stierkämpfers, an
hochtourige Motoren, an vorsorglich rotgestrichene Decks von Schlachtschiffen,
damit der Anblick von Blut keine Unruhe auslöst. Diese Bilder tauchten vor
meinem inneren Auge auf, als Du Dich umdrehtest und mich anlächeltest. Jetzt
gerade hat der Himmel draußen vor meinem Fenster die Farbe des Nagellacks, der
bei Dir ›Die Schlacht von Magenta‹ hieß. Dabei muss [236]  ich an Dich denken, aber
irgendwie auch an meine Kindheit.
    Als Junge habe ich mal Farbe hergestellt«, ging der
maschinengeschriebene Text weiter. »Anders als Magenta, ist Karmesin eine
besonders tiefrote Farbe, die man gewinnt, indem man getrocknete Insekten in
Wasser kocht und die entstehende Säure anschließend mit Alaun, Weinstein und
Zinnchlorid oder Kaliumhydrogenoxalat reinigt. Manchmal fügt man Eiweiß,
Fischleim oder Gelatine hinzu, doch da ich weder Fischleim noch Gelatine hatte,
stahl ich Eier aus dem Kühlschrank. Natürlich faszinierte mich als Junge das
Insektenkochen, doch noch mehr, dass die Qualität des Karmesins durch die
Temperatur und die Lichtverhältnisse während des Herstellungsprozesses beeinflusst
wird, denn für einen perfekten Farbton ist Sonnenlicht unerlässlich. Für mich
bestand also die Farbe Rot aus toten Insekten und Sonnenschein. Vielleicht
hätte ich Sonnenschein und tote Insekten vergessen, wäre nicht der Augenblick
vor dem Café gewesen, als ich Dich sah, wunderschön, wie Du Deinen roten Schirm
geschwenkt hast. Und wenn ich das Pech gehabt hätte, nie zu erfahren, dass
Karmesin aus Tod und Sonnenschein gemacht wird, hätte ich mich vielleicht nie
in Dich verliebt. In Liebe, auf immer und ewig.«

[237]  29
    Am nächsten Tag war David unterwegs, doch Sam und ich
mussten nicht filmen, und so saß ich wieder mit den Armenierinnen um den Pool.
Alle trugen sie ausgeblichene Badeanzüge und riesige Sonnenbrillen und blieben
an manchen Tagen mit den Füßen im Chlorwasser, bis es Zeit für das Mittagessen
war. Dann pulten sie Erbsen oder schälten Kartoffeln in metallene
Rührschüsseln. Ich selbst trug einen marineblauen Bikini, den mir die
Armenierinnen geliehen hatten, und darüber ein weißes T-Shirt. In den letzten
Wochen hatte ich mir angewöhnt, fast täglich bei ihnen am Pool zu hocken und
entweder Lilys Briefe oder eins von Davids Büchern zu lesen.
    »Ich hab mein Teesieb verloren«, schrie eine Armenierin aus einer
Wohnung im Erdgeschoss. »Hat es irgendwer gesehen?«
    »Schau unterm Bett nach, das hat meine Mutter immer gesagt. Laut
meiner Mutter findet man alles Verlorene immer unterm Bett wieder«, sagte eine
der Frauen. »Hätte ich meinen Glauben an Gott oder meine Jungfräulichkeit
verloren, hätten die wahrscheinlich mit der Fernbedienung für die Glotze und
den dritten Zähnen meines Vaters unter dem Bett gelegen, so sah sie das.«
    [238]  »Es ist ein Teesieb, warum wohl sollte es unter dem Bett
liegen?«, rief die erste Frau humorlos.
    »Ach, du hattest echt Glück«, sagte Dalita zu der Frau, deren Glaube
unter dem Bett lag. »Du musstest dir nur das eine merken! Meine Mutter, ja? Ein
ständiger Monolog, wie ein Wasserfall, ja? Nichts als Ratschläge. Egal um was
es ging, sie hatte Ratschläge.« Und in schriller, besserwisserischer Stimmlage,
mit der sie ihre Mutter parodieren wollte, fuhr Dalita fort: »Siehst du die
Blume, ja? Das ist eine Arataraticum. Herrliche Blumen. Denk daran, sie nicht
übermäßig zu wässern, wenn du sie im Haus hältst. Die sind empfindlich, ja? Sie
sind empfindlich und brauchen viel Sonnenschein.« Beim Weiterreden ging Dalita
noch mehr in ihrer Rolle auf und brachte ihre Freundinnen zum Lachen:
»Übrigens, ist dir in dem T-Shirt nicht zu warm, Kleines? Zieh’s aus, sonst
kriegst du noch einen Hitzschlag. Solltest du je einen Hitzschlag kriegen, leg
dir Eiswürfel auf die Zunge und die Handgelenke. Glaub keinem, der behauptet,
du müsstest ein kaltes Bad nehmen, du wirst dir den Tod holen, ja? Apropos, nie
auf Eiswürfel beißen, davon gehen die Zähne

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