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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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Phantasie schliffen, schnitten und leckten diese
Wesen die Menschheit ins Leben.
    Die zweite Geschichte, die mir einfiel, drehte sich um [304]  eine
Aztekengöttin, die von einem Messer geschwängert wurde und eine Tochter gebar,
die zur Sonne wurde, sowie einen Wurf Knaben, die zu Sternen wurden. Sonne und
Sterne lebten allesamt mit ihrer Mutter auf der Erde, bis die Muttergöttin
einen Ball aus Kolibrifedern fand, der ihr gefiel. Sie waren so schön, dass sie
die Federn an ihre Brust drückte und plötzlich wieder schwanger wurde. Sonne
und Sterne glaubten wohl, der Kolibri hätte sie geschwängert, denn die Kinder
waren nicht gerade begeistert von der Aussicht auf einen neuen vogelartigen
Stiefbruder. Wenn ich mich richtig an das Schulprojekt erinnere, gebar Mutter
Natur den Gott des Krieges, was keinen rechten Sinn ergibt. Ein Kolibri zeugte
den Gott des Krieges, während ein Messer der Schöpfer des Universums war? Jedenfalls
steckte der Gott des Krieges Sonne und Sterne in Brand, ehe er sie auf die
andere Seite des Universums verbannte, wo sie heute noch brennen. Ich weiß
sicher, dass die Aztekengöttin irgendwann von einem Messer schwanger wurde,
weil ich mich erinnere, dass ich Ärger bekam, als ich genau diesen Augenblick
der Geschichte illustrierte statt beispielsweise die Kolibrifedern oder den
Nachthimmel.
    Vorn im Bus saß eine schwangere Frau mittleren Alters mit markanten
Wangenknochen, die ein glänzendes Top mit paillettenbesetztem Nackenband von
der Sorte trug, in dem sich eine Jugendliche frühreif vorkommen mochte. Sie war
regelrecht aufgedonnert. Da sie, der Mode gehorchend, Leggings statt Strumpfhosen
trug, war unten an ihrer Wade ein geschwollener Streifen rosa Fleisch über den
Riemchen ihrer hochhackigen [305]  Sandaletten zu sehen. Sie hatte glitzernden
Lippenstift aufgetragen und war bestimmt Anfang vierzig. Für einen
Sekundenbruchteil blitzte in meinem Kopf die ekelerregende, aber sehr deutliche
Vorstellung davon auf, wie sie in einer geschmacklos möblierten Vorstadtwohnung
mit gespreizten Beinen auf einer Matratze lag und von dem langen, vibrierenden
Schnabel eines monströsen Kolibris geschwängert wurde. Ich blinzelte heftig.
    Seit über zwei Wochen war ich nicht im Serena Hostel gewesen. Als
ich die Lobby betrat, roch es dort nach muffiger Wäsche und Schinkensandwiches.
Am oberen Treppenabsatz trank ein Mädchen mit blonden Cornrows eine Dose Bier,
und ein hagerer Mann mit Jesusbart legte auf dem Couchtisch im Aufenthaltsraum
Patiencen. Vanessa und Tony waren beide hinter dem Tresen und sahen abrupt zu
mir hoch, als ich eintrat. Vanessa trug eines ihrer charakteristischen
schwarzen Kleider und hatte Schweißflecken unter den Armen. Die Haare waren
oben auf dem Kopf zu einem glänzenden Pferdeschwanz gebunden, was ihr gar nicht
stand und fast wie ein Helm wirkte. Tonys enges T-Shirt wiederum betonte die
Tattoos auf seinen kräftigen Armen. Seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, hatte
er sich einen kleinen Ziegenbart stehenlassen.
    »Wo hast du denn gesteckt?«, wollte Vanessa von mir wissen.
    »Ich war krank.«
    »Sie sieht beschissen aus«, sagte Tony zu Vanessa.
    »Geht’s dir gut?«, fragte Vanessa und hielt den Kopf schräg. »Was
war denn mit dir?«
    [306]  »Lebensmittelvergiftung«, sagte ich.
    »So ein Pech«, sagte Vanessa, dann folgte eine peinliche Stille,
während der nur ein Trupp europäischer Reisender zu hören war, die im
Aufenthaltsraum American Football guckten. Irgendwas stimmte nicht, wie ich
Vanessas zurückhaltendem Lächeln entnahm.
    »Jemand hat deine Rechnung beglichen«, sagte Vanessa, zog eine
kleine Grimasse und hielt wieder den Kopf schief, in einer Art entschuldigender
Geste. »Wusstest du das?«
    Ich antwortete nicht. Ich dachte an die brüchigen Briefe und die
vielen Fotos, an die Schuhe mit unvernünftig hohen Absätzen und die nach Blumen
duftenden Kleider.
    »Er war wieder hier und wollte den Koffer haben?«, sagte ich.
    »Es war Mirandas Schicht, nicht unsere«, sagte Tony, als er meine
ausdruckslose Miene sah.
    »Es war aber nicht derselbe Typ wie beim letzten Mal«, ergänzte
Vanessa. »Miranda sagte, dieser Typ war nett. Charmant, um genau zu sein. Er
hat den Koffer abgeholt, weil du nicht Auto fährst oder so was in der Art.«
    »Was ist mit dem Schließfachschlüssel?«, sagte ich. »Den hatte er
nicht.«
    »Er hat Miranda erzählt, du würdest ihn abgeben, wenn du
vorbeikämst, um dich von uns zu verabschieden. Als du dann nicht gekommen

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