Pink Hotel
sah
sich ernst um, während meine Zunge Blasen bekam.
»Er war zu alt für dich«, sagte eine andere, lehnte sich mit ihren
knochigen Schultern an den Türrahmen und schnippte geschickt Zigarettenasche
nach hinten auf den Boden der Galerie.
»Er steckte voller Dunkelheit«, sagte eine dritte Frau, die ihren
Hintern auf Davids Fensterbrett geparkt hatte.
»Ich schwöre im Namen des Apostels Bartholomäus, dieser Mann war ein
echter Nichtsnutz«, fügte die nächste [297] hinzu. Über den Hausrat, den er ihnen
stillschweigend überlassen hatte, freuten sich jedoch alle. Darüber hinaus
konnte mir keine einen brauchbaren Hinweis geben, warum oder wohin David verschwunden
war.
»Wir dachten, du hättest ihn gebeten, uns das Zeug zu geben«, sagte
Dalita behutsam und zuckte mit den sommersprossigen Schultern. »Wir dachten,
ihr würdet heiraten oder so was, tja, und in eine nettere Bleibe ziehen. Wir
hatten erwartet, dass du vorbeikommen und dich verabschieden würdest.«
Offenbar hatte Dalita die leicht lädierte Mikrowelle, eine hölzerne
Salatschüssel mit passendem Salatbesteck und sogar das IKEA -Klappsofa
bekommen, auf dem ich während der ersten Woche in Davids Apartment geschlafen
hatte. Eine andere Mutter hatte Davids Fernseher erhalten, wieder eine andere
sein Geschirr und seine Tassen, aber keine hatte eine Erklärung für sein
Verschwinden.
»Natürlich konnte Dalita den Mann nicht ausstehen«, sagte eine der
armenischen Hausfrauen, »aber seine Klappcouch nimmt sie mit Kusshand.«
»Die ist von IKEA !«, protestierte
Dalita. »Auf IKEA -Möbel kann man keinen Charakter
übertragen. Unmöglich.«
»Bist du dir da ganz sicher?« Dalitas Freundin kicherte.
»Er schien betrunken zu sein«, sagte mir eine andere Frau mit einem
wissenden Unterton. Dann schaute sie rasch weg.
»Oh«, machte ich gequält.
Nicht einmal der sonst so gut informierte [298] Teenagertrupp auf der
Mauer vor dem Haus konnte viel Neues zu Davids plötzlichem Verschwinden beitragen.
»Montag isser abgehauen, Alte, als du auf der Arbeit warst. Hatte
aber bloß eine Tasche dabei. Hab mir nix dabei gedacht. War aber noch mal hier,
wann war das, zwei Tage später?«
»Er hat gefragt, ob wir dich gesehen hätten. Wir haben ihm gesagt,
du musst wohl abgehauen sein oder was, weil du nicht zurückgekommen bist.«
»Er ist wegen mir noch mal hier gewesen?« Ich hatte das Gefühl, mein
Blut würde auf einmal schneller fließen, und alles hellte sich auf. Ich
bemerkte, dass einer der Jungs eins von Davids Hemden trug, ein orangefarbenes
mit seidigem schwarzem Kragen. Ein anderer hatte ein Paar von Davids großen,
grellbunten Sportschuhen an.
»Er war wegen seinen Sachen hier, Alte«, sagte einer der Jungs. »Er
hat wohl gedacht, du hast ihn verlassen.«
»Hat seinen Kram aus der Wohnung geholt und überall im Haus
verteilt«, sagte ein anderer. »Was dann noch übrig war, hat er in seine Karre
geladen. Uns hat er einen ganzen Haufen Hemden geschenkt. Er hatte krasse
Klamotten, Mann, krass.«
Danach rief ich vom öffentlichen Telefon im Einkaufszentrum aus
Davids Handy an. Ich probierte es dreimal, doch es war abgestellt, genau wie
Richards Telefon. Man hörte einen Ton, als wäre das Handy aus oder hätte keinen
Empfang. Ich gab auf und wählte stattdessen Sams Nummer.
»Wo zum Teufel steckst du?«, fuhr Sam mich an. »Ich [299] komme gerade
aus dem Krankenhaus, wo man mir sagt, du hättest dich selbst entlassen.«
»Ich mag keine Krankenhäuser.«
»Niemand mag Krankenhäuser.«
»Die Frau im Bett neben mir war verrückt.«
» Du bist verrückt.«
»Mir geht’s gut«, sagte ich. »Ich fühl mich besser. Danke der
Nachfrage.«
Wir schwiegen.
»Ich konnte dich bei der Unfallversicherung unserer Firma
einschmuggeln«, sagte er. »Glück gehabt.«
»Ich kann dir das Geld zurückzahlen.«
»Die decken das ab, keine Sorge«, sagte er. »Kein Problem.«
»Weißt du, wo David ist?«, fragte ich.
»Zu Hause ist er nicht.«
»Ich hab ihn nicht erreicht«, sagte Sam. »Sein Telefon ist
abgestellt.«
»Hast du ihn angerufen?«, fragte ich.
»Na klar.«
»Noch am selben Abend?«
»Ganz ehrlich, in dem Moment hab ich nicht dran gedacht«, sagte Sam.
»Es war alles so hektisch.«
»Wann hast du dran gedacht?«
»Am dritten Abend, aber sein Handy war aus«, sagte Sam leise. Ich
schwieg an meinem Ende der Leitung und konnte meinen Herzschlag hören. Sam redete
weiter, er sprach schnell: »Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil
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