Pink Hotel
zu einem
Zittern, als ich die Klamotten erkannte, die er mir im Outlet gekauft hatte.
Ich ging in die Ecke und bückte mich. Da waren meine rosa Zahnbürste, ein paar
Lippenstifte, ein Volumenshampoo, meine Haarbürste. Lilys weißes Kleid mit den
schwarzen Knöpfen, Lilys Jeans und T-Shirts und ihre abgewetzten grauen
Ballerinas. Mein Basecap. Mein Adidas-Kapuzenshirt. Lilys tropfenförmige Ohrringe,
ihr Lippenstift und ihre Sonnenbrille. Aus einer der Tüten förderte ich einen
Stapel Fotos zutage, die ich noch nie gesehen hatte – es waren jene Fotos, über
die er bei unserem Aufstieg zum Observatorium gesprochen hatte und die er
entwickeln wollte. Einige der Fotos waren von mir mit rotem Basecap und
Sportklamotten an meinem ersten Tag in Los Angeles, andere von dem Tag, als
David mich ausgelassen dazu überredet hatte, nackt im Wohnzimmer für ihn zu
posieren.
»Scheiße«, sagte ich, und mir wurde ein wenig schwindlig. Meine
Augen schmerzten, als lauerten Tränen darin. »Scheiße, Scheiße, Scheiße,
Scheiße.«
»Alles in Ordnung?«, fragte Yuri.
»Scheiße«, sagte ich, und Yuri verließ leise das Zimmer.
Ich blätterte die Fotos durch. Es waren jede Menge, mindestens
dreißig. Die meisten glichen den anderen Fotos, die in Davids Apartment
gehangen hatten: bizarr, anonym, körperlos. Auf einem sah man nur die Haut
meiner Hand, die eine Zigarette hielt, samt einem hässlichen Niednagel; auf
einem anderen verdeckte der [294] Schatten des Basecaps meine Augen, während ich
den Rücken der Kamera zuwandte. Auf dem dritten Foto schlief ich auf der Bank,
das Basecap etwas verrutscht und die Wange in Lilys kneteroten Koffer gepresst.
Das war an jenem ersten Morgen vor zehn Wochen, als ich gerade vom Ertrinken
träumte. Ein Bein der Jogginghose war hochgerutscht, und man sah den Schorf auf
meinen blassen Knien. Dann gab es noch eine Nahaufnahme meines Gesichts, das
aussah wie das eines Babys. Es ist komisch, daran zurückzudenken, für wie taff
ich mich hielt, denn auf dem Bild wirkte ich in erster Linie erschöpft und
unschuldig.
Die nächsten drei Fotografien waren etwa eine Woche alt und zeigten
mich in unterschiedlichen Graden der Nacktheit. Sie waren mir peinlich. Auf
einem Foto sah man nur meinen Nabel, auf einem anderen nur eine Brustwarze, es
gab ein Foto meiner lächelnden Lippen. Auf einem Foto hatte ich meinen Rücken
der Kamera zugewandt, drehte den Kopf um und lächelte David an, doch das Bild,
das ich sehen sollte – das alles verändert hatte –, war ein Foto von mir in
einem weißen T-Shirt über einem Bikini, auf dem ich in die Kamera lachte. Das
nächste Foto im Stapel war eins von Lily. Es war das Foto, das David am Morgen
nach der Totenwache aus dem Pink Hotel gestohlen hatte. Darauf saß Lily mit
gekreuzten Beinen unter einem Baum, sie trug ein weißes T-Shirt über einem
Bikini und lachte, ihre hellen Brauen wölbten sich amüsiert über dunklen Augen.
Auf dem geklauten Foto war sie etwas jünger als ich und hatte viel längere und
dunklere Haare. Sie saß unter einem [295] Baum, während ich in einem halbdunklen
Apartment stand, doch wenn man die beiden Fotos verglich, sahen Lily und ich
uns geradezu unheimlich ähnlich. Unsere Augen nahmen beim Lachen dieselbe Form
an, wodurch auch die Farbe fast identisch schien, und unsere Münder verzogen
sich auf die gleiche Weise. Auch die Gestik stimmte überein, wir beide hielten
die Hände vor den Mund, als wäre es uns peinlich, so hemmungslos zu lachen. Ich
stellte mir vor, wie David zusah, während sich das Foto von mir in der
Dunkelkammer in seinem Büro entwickelte. Ich fragte mich, wie lange er wohl
gebraucht hatte, um zu merken, wie sehr ich Lily ähnelte. Wieder wurde mir
übel, und ich ließ die Fotos auf den Teppichboden fallen.
[296] 37
Yuri ließ mich bis zum Nachmittag auf dem Boden des leeren
Apartments schlafen, dann kamen die armenischen Mütter und standen in der
leeren Wohnung um mich herum. Sie brachten den Geruch von Chlor und langsam
geröstetem Knoblauch mit, der sich mit der stickigen Luft mischte. Dalita hatte
ihren ausgeblichenen tropischen Bikini an und ein T-Shirt aus irgendeiner
Pizzeria, an ihren braunen Handgelenken baumelten Plastikarmreifen, während sie
mich mit einer Tasse frischem Brennnesseltee tröstete. Der erste Schluck war
bitter und kochend heiß. Er verbrannte mir die Zunge, und der Schock trieb mir
Tränen in die Augen.
»Du bist zu gut für diesen Dreckskerl«, stellte Dalita fest und
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