Pink Hotel
ich nicht
früher angerufen hatte, deshalb bin ich bei ihm vorbeigefahren, aber er war
nicht da. Ich hab es sogar ein [300] paarmal bei ihm im Büro versucht. Da hat man
auch nichts von ihm gehört. Ich dachte, es wär in Ordnung. Ich hab mich
schließlich um dich gekümmert, stimmt’s?«
»Du hast in seiner Firma angerufen?«, hakte ich nach.
»Ich wollte ihn unbedingt finden«, sagte er. »Ich hab echt alles
versucht.«
Meine Hände zitterten, als ich eine Zigarette anzündete.
»Wir hatten uns am Vorabend gestritten«, sagte ich zu Sam. »Ich hab
dir erzählt, dass er wütend auf mich war. Warum hast du nicht schon am ersten
Abend angerufen?«
»Tut mir leid.«
»Er wäre nicht abgehauen, wenn er gewusst hätte, dass ich krank
war.«
»Ich weiß.«
Ich hielt den Hörer kurz von meinem Mund weg. Irgendwie roch er nach
fettigem Fisch, aber vielleicht kam der Geruch auch von einem der
Take-away-Restaurants um mich herum.
»Ich komm vorbei«, sagte er. »Wo bist du?«
»Ich kann nicht, Sam, ich will nicht.«
»Bitte.«
Weil ich zu müde war, um mich mit ihm zu streiten, traf Sam mich
zehn Minuten später vor dem Starbucks an der Ecke North Vermont und Prospect Avenue,
doch ich stieg nicht zu ihm ins Auto. Er parkte und musterte mich vom
Fahrersitz aus.
»Lass uns irgendwo was essen«, meinte er dann.
»Danke, dass du dich um mich kümmerst, aber ich [301] will jetzt
einfach nur allein sein«, sagte ich und blieb, wo ich war. »Tut mir leid, ich
bin fix und fertig. Ich muss nachdenken.«
»Steig ein und rede mit mir«, sagte Sam, doch als ich mich noch
immer nicht rührte, kletterte er aus dem Wagen und ins Sonnenlicht. Er stützte
beide Ellbogen auf das Dach und kam nicht näher. »Wir überlegen zusammen.«
»Das geht nicht, Sam, ich muss jetzt los. Ich will nicht zu dir ins
Auto steigen.«
»David hat dich nicht mal gesucht«, sagte Sam. »Hast du daran schon
mal gedacht? Wenn du irgendwann nachts nicht zu mir nach Hause gekommen wärst,
hätte ich dich gesucht.«
»An diesem ersten Abend war er sauer auf mich«, sagte ich, »weil er
etwas über mich herausgefunden hat. Offenbar hat er gedacht, ich hätte ihn
verlassen.«
»Was hat er herausgefunden?«
»Das ist unwichtig, Sam. Tut mir leid, dass ich dir so viel Umstände
gemacht hab.«
Ich ging nicht weg, weil ich wusste, dass Sam mir einfach nachkommen
würde. Ich wollte ihm keinen Vorwand liefern, eine Szene zu machen oder mich
anzufassen. Meine Haut fühlte sich wund an, und die Sonne war auch keine Hilfe.
Ich hätte mich gar nicht mit Sam treffen sollen, doch es war einfach alles so
seltsam. Mir fehlte die Energie, um mit ihm zu diskutieren oder auch nur wütend
zu sein, allerdings wäre ich weggelaufen, wenn er auf meine Seite des Wagens
herübergekommen wäre. So blieb ich einfach eine Zeitlang in der Hitze stehen [302] und
fühlte mich ausgelaugt. Keiner von uns bewegte sich.
»Geh weg, Sam. Bitte, ich will einfach nur allein sein«, wiederholte
ich immer wieder mit leichten Variationen.
»Steig bitte ein«, kam dann jedes Mal von ihm zurück.
Nachdem ich Sam versprochen hatte, ihn am nächsten Tag anzurufen,
war er schließlich bereit wegzufahren. Als er um die Ecke bog, hielt an der
Haltestelle direkt vor dem Starbucks ein Bus. Ich rannte los, schlüpfte hinter
zwei Schülerinnen durch die hydraulischen Türen und stieg nach ihnen die Stufen
hoch.
[303] 38
Schwangerschaft war eine Vorstellung, die mir völlig fremd
war, wie eine Indianersage darüber, warum Schildkröten einen unterteilten
Panzer haben, oder wie ein Schöpfungsmythos über Ursuppe und goldene Eier. Es
war unvorstellbar, dass ich etwas mit dem Lebewesen zu tun haben sollte, das da
in meinem Bauch entstanden war. Im Bus bekam ich einen Fensterplatz und
versuchte, mich an Schöpfungsmythen zu erinnern, die ich in der Schule gelernt
hatte. Unter dem Fenster glitten die Asphaltstraßen von L.A. vorbei, während ich Erinnerungen an ein Schulprojekt über merkwürdige Kreaturen
hervorkramte, die sich aus dem Nichts selbst erschufen. Es waren schlafende
Geschöpfe, wesenlos, die aus ihrem eigenen Unterbewusstsein ausbrachen, um die
Wüste als Kängurus, Emus oder Warane zu durchstreifen, oder was auch immer es
war, was zu sein sie sich vorstellten. Diese Traumwesen waren nicht nur
Formwandler des Geistes, sondern auch Bildhauer, die sich daranmachten, aus
Felsen Mann und Frau zu meißeln, die sie dann mit der Kraft ihrer Phantasie zum
Leben erweckten. Mit ihrer
Weitere Kostenlose Bücher