Piper und das Rätsel der letzten Uhr
Ausgabe von Jamaica Inn und schlug den Deckel zu. Sie ließ, sicherheitshalber, auch noch alle Schlösser einschnappen. Eines nach dem anderen, klick, klick, klick, bis der Koffer verschlossen war, klick, klick, klick.
Dann torkelte sie fünf Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken an der Wand stand, möglichst weit weg von dem großen Schrankkoffer. Bewegte er sich oder kam ihr das nur so vor?
Alles in dem Dachzimmer sah so aus, wie es aussehen sollte. Die schwarz-weißen Bilder an den Wänden, der Teppich, das Bett. Da draußen, vor dem Fenster, war der Tag bereits angebrochen.
Piper fragte sich, ob das hier jetzt auch wirklich die Welt war, in die sie hatte zurückkehren wollen. Und sie fragte sich, wie es Mike jetzt ging. Irgendwie war sie sich aber sicher, dass jetzt wirklich alles gut war.
Sie betrachtete argwöhnisch den Schrankkoffer. Konnte es sein, dass noch etwas im Koffer war?
Dann seufzte sie und beschloss, den Schrankkoffer nie wieder zu öffnen.
Sie schlug das Buch auf, Jamaica Inn, und betrachtete die gezeichnete Landkarte von Septemberland.
Danach ging sie zum Fenster, legte das Buch aufs Fensterbrett und schaute in den Nieselregen hinaus. Sie rieb sich die Augen.
Die Landschaft war nass und septembergrau, wie sie es in Erinnerung hatte. Eigentlich sah alles sehr echt aus. Und gar nicht schwarz-weiß.
Schließlich ging sie zum Waschbecken, trank einen Schluck Wasser aus dem Hahn, benetzte das Gesicht ein wenig und putzte sich noch schnell die Zähne. Katzenwäsche, so nannte ihre Mutter das.
Als sie damit fertig war, ging sie nach unten, wo Onkel George, wie vorhin, dabei war, das Frühstück zu richten.
»Morgen«, sagte er.
»Morgen«, sagte auch Piper. Wieder einmal.
»Du siehst müde aus«, stellte er fest. Das Haar stand ihm zerzaust vom Kopf ab.
»Ein Toast mit Honig wäre der Himmel«, sagte sie.
Er lachte. Dann schob er zwei Toastscheiben in den Toaster. »Damit kann ich dir dienen.«
Im Radio lief wieder ein Lied von Madonna, was Piper seltsam fand, weil sie gerade erst darauf getanzt hatte. Jetzt tanzte sie nicht. Sie blieb lieber vorsichtig und lauschte nur.
Onkel George tippte müde den Takt des Liedes auf die Küchenanrichte, während er auf den Toast wartete. Er war wohl ebenso müde wie sie selbst, zumindest sah er so aus.
»Hat es die ganze Nacht geregnet?«
»Nichts Außergewöhnliches für uns«, stellte er fest. »Außerdem hat es nur genieselt.«
»Hm.«
Die Scheiben Toast sprangen in die Höhe. Onkel George legte sie auf einen Teller und stellte ihn vor Piper auf den Tisch.
Piper schmierte Butter darauf und dann den Honig, der aus einem Glas ohne Etikett kam.
»Den haben meine Bienen gemacht«, verkündete Onkel George ganz stolz.
»Gibt es was Neues?«, versuchte Piper, ein Gespräch in die Gänge zu bringen.
»Was soll über Nacht schon Neues passieren?« Er nahm sich die große Tasse mit Kaffee und setzte sich zu ihr an den Tisch.
»Vielleicht ist eine Kuh ausgerissen«, mutmaßte Piper.
»Keine ausgerissenen Kühe«, stellte Onkel George klar.
Piper knabberte an ihrem Toast und sagte: »Lecker.« Irgendwas musste sie einfach sagen.
Onkel George sagte nichts. Er trommelte weiter mit dem Finger auf den Tisch.
Piper, die nicht aufhören konnte, an den Schrankkoffer zu denken, versuchte es mit ihrem süßen Gesicht. Wenn sie ihre Eltern zu etwas erweichen wollte, dann machte sie normalerweise ihr süßes Gesicht. Das funktionierte oft. »Onkel George?«, begann sie, und als er aufschaute, fügte sie hinzu: »Würdest du mir einen Gefallen tun, wenn ich dich darum bitte?«
»Kommt auf den Gefallen an, würde ich sagen.«
»Du kennst doch den Schrankkoffer, der oben in der Dachkammer steht.«
»Das hässliche Ding?«
»Können wir ihn nicht im Moor versenken?«
Onkel George starrte sie an, recht lange, recht sprachlos. Dann lachte er. »Warum sollten wir das tun?«
Piper überlegte, wie sie es ihm am besten erklären konnte. »Er ist böse, glaube ich.«
»Böse?«
»Ja, böse.«
»Wie kommst du darauf?«
»Nur so.« Was sollte sie auch sagen.
»Als ich ganz klein war«, sagte Onkel George schließlich nach einer Weile, »da hatten wir eine Vogelscheuche im Garten. Teufel, hatte ich eine Angst, dass sie mich holen könnte.«
»Was ist passiert?«
»Mein Vater hat sie weggemacht.« Er nippte an seinem Kaffee. »Hat sie in den Müll gebracht, meine ich.« Er grübelte ein paar Augenblicke lang. »Ich verstehe dich also sehr gut. Das war
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