Pippi Langstrumpf
Leben lang auf dem Meer gesegelt ist, so weiß man nicht, wie man sich in der Schule zwischen all den Äpfeln und Igeln benehmen soll.“
Da sagte die Lehrerin, daß sie das verstehe und daß sie nicht mehr böse auf Pippi wäre und daß Pippi vielleicht wieder in die Schule kommen könne, wenn sie etwas älter wäre. Und da antwortete Pippi freudestrahlend:
„Ich finde, du bist furchtbar nett, Fräulein, und hier geb’ ich dir was!“
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Und sie zog eine kleine, feine goldene Uhr aus der Tasche, die sie auf das Katheder legte. Die Lehrerin sagte, sie könne eine so kostbare Sache nicht annehmen, aber da sagte Pippi:
„Du mußt! Sonst komme ich morgen wieder, und das würde ein feiner Spektakel werden!“
Dann stürmte sie auf den Schulhof hinaus und sprang mit einem Satz auf das Pferd. Alle Kinder drängten sich um sie, um das Pferd zu streicheln und ihren Abzug zu sehen.
„Da lobe ich mir die Schulen in Argentinien“, sagte Pippi und sah auf die Kinder herunter. „Da solltet ihr hingehen. Da fangen die Osterferien drei Tage nach Schluß der Weihnachtsferien an, und wenn die Osterferien zu Ende sind, dauert es drei Tage, und da fangen die Sommerferien an. Die Sommerferien hören am 1. November auf, und dann hat man natürlich eine ordentliche Last, bis am 11. November die Weihnachtsferien anfangen. Aber das muß man aushalten.
Jedenfalls hat man keine Schularbeiten. Es ist in Argentinien streng verboten, Schularbeiten zu machen. Manchmal kommt es vor, daß ein oder das andere argentinische Kind sich in einen Schrank schleicht und Schularbeiten macht. Aber wehe, wenn seine Mutter das sieht. Rechnen haben sie dort überhaupt nicht in den Schulen, und wenn es ein Kind gibt, das weiß, wieviel 7
und 5 ist, muß es den ganzen Tag in der Ecke stehen, wenn es so dumm ist, es der Lehrerin zu erzählen. Lesen haben sie nur freitags, aber nur dann, wenn es Bücher gibt, in denen sie lesen können. Aber es gibt niemals welche.“
Die Kinder sahen verdutzt aus.
„Ja, aber was machen sie denn da in der Schule?“ fragte ein kleiner Junge.
„Sie essen Bonbons“, sagte Pippi bestimmt. „Es geht ein langes Rohr von einer Bonbonfabrik in der Nähe direkt ins Schulzimmer, und da kommen den ganzen Tag Bonbons raus, und da haben die Kinder genug damit zu tun, sie aufzuessen.“
„Ja, aber was macht dann die Lehrerin?“ fragte ein Mädchen.
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„Sie macht das Papier von den Bonbons für die Kinder ab, du Dummerjan“, sagte Pippi. „Du glaubst doch nicht etwa, daß sie das selbst machen? Selten! Die gehen nicht mal selbst in die Schule. Die schicken ihren Bruder,“
Pippi schwenkte ihren großen Hut.
„Servus, Kinder“, rief sie vergnügt. „Jetzt kriegt ihr mich eine Weile nicht zu sehen. Aber denkt immer daran, wie viele Äpfel Anton hatte, sonst werdet ihr unglücklich. Hahaha!“
Mit einem schallenden Gelächter ritt Pippi durch die Pforte, so daß die Steinchen um die Pferdehufe flogen und die Fensterscheiben der Schule klirrten.
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Pippi sitzt auf dem Gartenzaun und klettert in den hohlen Baum
Vor der Villa Kunterbunt saßen Pippi, Thomas und Annika.
Pippi saß auf dem einen Pfeiler, Annika auf dem anderen, und Thomas saß auf der Gartentür. Es war ein warmer und schöner Tag Ende August. Ein Birnbaum, der direkt hinter dem Zaun stand, streckte seine Zweige so weit herunter, daß die Kinder die kleinen, goldroten Augustbirnen ohne große Mühe abpflücken konnten. Sie kauten und aßen und spuckten die Kerngehäuse auf den Weg.
Die Villa Kunterbunt stand gerade da, wo die kleine Stadt aufhörte und das Land anfing und wo die Straße direkt in die Chaussee überging. Die Leute der kleinen Stadt machten gern ihre Spaziergänge in dieser Gegend, denn hier war die Umgebung der Stadt am schönsten.
Gerade als sie da saßen und Birnen aßen, kam ein Mädchen den Weg von der Stadt her. Als sie die Kinder sah, blieb sie stehen und fragte:
„Habt ihr meinen Vater hier vorbeigehen sehen?“
„Mja“, sagte Pippi, „wie sieht er aus? Hat er blaue Augen?“
„Ja“, sagte das Mädchen.
„Richtig groß, nicht zu groß und nicht zu klein?“
„Ja“, sagte das Mädchen.
„Schwarzen Hut und schwarze Schuhe?“
„Ja, ganz richtig“, sagte das Mädchen eifrig.
„Nein, den haben wir nicht gesehen“, sagte Pippi bestimmt.
Das Mädchen sah enttäuscht aus und ging ohne ein Wort weiter.
„Warte mal“, schrie Pippi hinter ihr her. „Hat er eine Glatze?“
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„Nein, natürlich
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