Pippi Langstrumpf
gab.
„Bisher haben wir ja nicht gerade viel eingekauft“, sagte Pippi. „Jetzt müssen wir uns ernsthaft anstrengen.“
Und sie marschierten hinein, erst Pippi, dann Thomas und zuletzt Annika. Das erste, was sie sahen, war eine sehr feine Schaufensterpuppe, die ein blaues Seidenkleid anhatte. Pippi ging zu der Puppe hin und ergriff herzlich ihre Hand.
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„Schön guten Tag, guten Tag“, sagte sie. „Soweit ich verstehe, sind Sie es, meine Dame, der das Geschäft hier gehört. Wirklich nett, Sie zu treffen“, fuhr sie fort und schüttelte die Hand der Schaufensterpuppe noch herzlicher.
Aber da passierte das schreckliche Unglück, daß der Arm der Puppe abging und aus seiner seidenen Hülle herausglitt, und nun stand Pippi da mit einem langen, weißen Puppenarm in der Hand. Thomas keuchte vor Schreck, und Annika begann zu weinen.
Die Verkäuferin kam angestürzt und fing an, Pippi furchtbar auszuschimpfen.
„Reg dich ein paar Grade ab“, sagte Pippi, nachdem sie eine Weile zugehört hatte. „Ich dachte, es wäre Selbstbedienung hier. Und ich wollte diesen Arm kaufen.“
Da wurde die Verkäuferin noch wütender und sagte, daß die Schaufensterpuppe nicht zu verkaufen wäre. Jedenfalls könne man nicht nur den einen Arm kaufen. Aber Pippi würde weiß Gott schon noch bezahlen müssen, was die ganze Puppe kostete, da sie sie kaputtgemacht hatte.
„Sehr merkwürdig“, sagte Pippi. „Zum Glück sind sie nicht in allen Geschäften so verrückt. Denk bloß, wenn ich das nächste Mal Rübenmus zu Mittag habe, und ich gehe zum Fleischer und verlange ein Eisbein, und er würde versuchen, mir ein ganzes Schwein aufzuschwatzen!“
Während sie sprach, zog sie mit einer flotten Geste ein paar Goldstücke aus der Schürzentasche und warf sie auf den Tisch.
Die Verkäuferin verstummte vollständig vor Staunen.
„Kostet das Frauenzimmer noch mehr als das?“ fragte Pippi.
„Nein, natürlich nicht, sie kostet lange nicht so viel“, sagte die Verkäuferin und verbeugte sich höflich.
„Behalte das, was übrigbleibt, und kaufe was Gutes für die Kinder“, sagte Pippi und ging zur Tür. Die Verkäuferin lief unter andauernden Verbeugungen hinter ihr her und fragte, wohin sie die Schaufensterpuppe schicken solle.
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„Ich will nur den Arm hier haben, und den nehme ich mit“, sagte Pippi. „Den Rest kannst du unter die Armen verteilen.“
„Aber wozu willst du denn den Arm haben?“ fragte Thomas, als sie wieder auf der Straße waren.
„Den?“ fragte Pippi. „Wozu ich den haben will? Haben die Leute vielleicht keine falschen Zähne und keine falschen Haare? Und manchmal auch falsche Nasen. Kann ich da nicht einen falschen Arm haben? Im übrigen will ich euch sagen, daß es furchtbar praktisch ist, drei Arme zu haben. Ich kann mich erinnern, als Vater und ich auf dem Meer segelten, da kamen wir einmal in eine Stadt, und da hatten alle Menschen drei Arme. Schlau, was? Denkt bloß, wenn sie aßen, und sie hatten die Gabel in der einen Hand und das Messer in der anderen, und sie mußten plötzlich in der Nase bohren oder sich am Ohr kratzen! Ja, da war es gar nicht so dumm, den dritten Arm zu Hilfe zu nehmen. Auf diese Weise sparten sie viel Zeit, kann ich euch sagen.“
Pippi sah nachdenklich aus.
„Pfui, wahrhaftig, jetzt lüge ich ja“, sagte sie. „ Das ist komisch. Ehe ich’s mich versehe, kommen so viele Lügen in mir hoch, ohne daß ich es verhindern kann. Um die Wahrheit zu sagen, sie hatten gar nicht drei Arme in dieser Stadt, sie hatten nur zwei.“
Sie schwieg einen Augenblick und dachte nach.
„Eine ganze Menge Leute hatten übrigens nur einen“, sagte sie. „Ja, um die Wahrheit zu sagen, es gab sogar welche, die gar keinen hatten, und wenn sie essen sollten, mußten sie sich über den Teller beugen und wie Tiere weiden. Sich selbst am Ohr kraulen konnten sie natürlich nicht, sie mußten ihre Mütter darum bitten. Ja, so war das.“
Pippi schüttelte mißmutig den Kopf.
„Tatsache ist, daß ich nirgends so wenig Arme gesehen habe wie in dieser Stadt. Aber das sieht mir ganz ähnlich. Immer muß ich mich wichtig machen und was Besonderes sein wollen 113
und erfinden, daß die Leute mehr Arme haben, als sie wirklich haben.“
Pippi marschierte weiter, den falschen Arm flott über die eine Schulter geworfen.
Vor einem Bonbonladen hielt sie an. Da stand ein ganzer Haufen Kinder, in Betrachtung der Herrlichkeiten versunken, die sich hinter der Glasscheibe ausbreiteten:
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