Pippi Langstrumpf
gereist kam, keine Ahnung haben. Wenn das kleine Mädchen zur Gartentür kam – und das 103
tat sie sicher, denn sie plauderte gern mit Leuten – , dann würde er, nachdem er sie richtig angeschaut hatte, nicht umhin können zu denken:
Das ist das sommersprossigste und rothaarigste Kind, das ich jemals gesehen habe!
Und vielleicht dachte er weiter: Eigentlich ist es ganz hübsch, sommersprossig und rothaarig zu sein, zum mindesten, wenn man so gesund und vergnügt aussieht wie dieses Kind.
Es würde ihn vielleicht interessieren, wie das kleine rothaarige Mädchen hieß, das da so allein in der Dämmerung umherschlenderte, und wenn er dicht vor der Gartentür stand, so brauchte er nur zu fragen:
„Wie heißt du?“
Die Antwort würde sicher kommen, mit sehr vergnügter, munterer Stimme:
„Ich heiße Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf, Tochter von Kapitän Efraim Langstrumpf, früher der Schrecken der Meere, jetzt Negerkönig. Aber man nennt mich nur Pippi.“
Ja, das wäre richtig. Dieses Mädchen heißt Pippi Langstrumpf. Und wenn sie sagt, ihr Vater sei Negerkönig, so glaubt sie es wenigstens selbst. Denn ihr Vater war einstmals ins Meer gespült worden und verschwunden, als er und Pippi auf dem Meer segelten, und da Pippis Vater sehr dick war, glaubte Pippi absolut nicht, daß er ertrunken sei. Es lag ja nahe zu glauben, daß er auf einer Insel an Land gespült worden und Negerkönig über eine Menge Neger geworden war. Und das war gerade das, was Pippi glaubte.
Es konnte ja sein, daß dieser reisende Fremde, wenn er genügend Zeit hatte und nicht am selben Abend mit dem Zug weiterfahren mußte, sich etwas eingehender mit Pippi unterhielt und so nach und nach erfuhr, daß sie da in der Villa Kunterbunt ganz allein wohnte, abgesehen von einem Pferd und einem Affen. Und wenn er ein gutes Herz hatte, konnte er 104
nicht umhin zu denken:
Wovon lebt eigentlich das arme Kind?
Aber darüber brauchte er sich wirklich keine Sorgen zu machen.
„Ich bin reich wie ein Zauberer“, pflegte Pippi zu sagen. Und das war sie. Sie hatte einen ganzen Koffer voller Goldstücke, den sie noch von ihrem Vater bekommen hatte.
Der reisende Fremde brauchte nicht zu glauben, daß Pippi Not litt. Sie kam großartig zurecht, sowohl ohne Mutter als auch ohne Vater. Es war ja natürlich so, daß sie niemand hatte, der ihr sagen konnte, wann sie abends zu Bett gehen sollte.
Aber Pippi hatte einen Ausweg gefunden: Sie sagte es selbst zu sich. Mitunter sagte sie es nicht früher als ungefähr gegen 10
Uhr, denn sie hatte niemals richtig daran geglaubt, daß Kinder unbedingt um 7 Uhr ins Bett müßten. Gerade da war es ja am allerschönsten. Daher brauchte sich der reisende Fremde durchaus nicht zu wundern, Pippi in ihrem Garten herumspazieren zu sehen, obwohl die Sonne schon untergegangen war und es anfing, kühl zu werden, und Thomas und Annika schon längst in ihren Betten lagen.
Wer waren Thomas und Annika? Ach, das konnte der fremde Reisende ja auch nicht wissen! Thomas und Annika, das waren Pippis Spielkameraden, die in dem Hause neben der Villa Kunterbunt wohnten. Es war schade, daß der Reisende nicht etwas früher gekommen war, denn da hätte er Thomas und Annika sehen können. Das waren wirklich zwei liebe und feine Kinder und nichts wäre sicherer gewesen, als daß er Thomas und Annika bei Pippi gefunden hätte. Denn sie liefen jeden Tag zu Pippi hinüber und waren immer bei ihr, außer wenn sie schliefen oder aßen oder in der Schule waren.
Aber um diese Zeit des Abends schliefen sie natürlich, denn Thomas und Annika hatten sowohl einen Vater als auch eine Mutter, und sowohl der Vater wie auch die Mutter fanden, daß alle Kinder am besten gediehen, wenn sie um 7 Uhr schlafen 105
gingen.
Wenn der reisende Fremde sehr, sehr viel Zeit hatte, blieb er vielleicht eine Weile stehen, nachdem Pippi gute Nacht gesagt und sich vom Gartenzaun entfernt hatte. Nur um zu sehen, was sie anfing, wenn sie allein war, und ob sie wirklich nicht hinein und gleich ins Bett gehen würde. Er konnte sich ja hinter einen Zaunpfahl stellen und vorsichtig hineinspähen. Wenn nun Pippi das tat, was sie mitunter des Abends zu tun pflegte, wenn sie Lust zu einem Ritt hatte! Wenn sie auf die Veranda ging, das Pferd mit ihren starken Armen hoch in die Luft hob und es in den Garten hinaustrug! Da würde der reisende Fremde sich wohl die Augen reiben und sich fragen, ob er träume!
„Was in aller Welt
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