Pippi Langstrumpf
sie auf dem trockenen Land läge, dann hätte es keinen Zweck.“
Thomas wurde wild vor Begeisterung.
„Das tun wir!“ schrie er. „Wir machen uns sofort auf den Weg.“
In zwei Tagen fingen Thomas’ und Annikas Sommerferien an, und gleichzeitig wollten ihre Eltern verreisen. Eine bessere Gelegenheit, Robinson zu spielen, konnte man sich nicht denken.
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„Wenn man Schiffbruch erleiden soll, muß man zuerst für ein Boot sorgen“, sagte Pippi.
„Und wir haben keins“, sagte Annika.
„Ich habe einen alten, kaputten Kahn auf dem Grund im Fluß liegen sehen“, sagte Pippi.
„Aber der hat schon Schiffbruch erlitten“, sagte Annika.
„Um so besser“, sagte Pippi. „Dann weiß er, wie es zugeht.“
Für Pippi war es ja eine einfache Sache, den gesunkenen Kahn zu bergen. Dann stand sie einen ganzen Tag lang am Flußufer und dichtete den Rumpf mit Teer und Werg. Und an einem regnerischen Vormittag stand sie in der Holzkammer und hieb ein paar Ruder zurecht.
Und dann fingen Thomas’ und Annikas Sommerferien an, und ihre Eltern reisten fort.
„Wir kommen in zwei Tagen zurück“, sagte die Mutter.
„Seid lieb und artig und vergeßt nicht, alles zu tun, was Ella sagt.“ Ella war die Hausangestellte der Familie, und sie sollte auf Thomas und Annika achtgeben, während Vater und Mutter weg waren. Aber als die Kinder mit Ella allein waren, sagte Thomas:
„Sie brauchen nicht auf uns aufzupassen, Ella, denn wir werden die ganze Zeit bei Pippi sein.“
„Wir können übrigens selbst auf uns aufpassen“, sagte Annika. „Pippi hat niemals jemand, der auf sie aufpaßt. Warum können wir denn nicht wenigstens zwei Tage lang in Ruhe gelassen werden?“
Ella hatte durchaus nichts dagegen, zwei freie Tage zu haben.
Und nachdem Thomas und Annika lange genug gebeten und gebettelt und gequält hatten, sagte Ella, daß sie eigentlich ganz gut einmal nach Hause fahren und ihre Mutter besuchen könnte. Aber die Kinder mußten ihr fest versprechen, richtig zu essen und zu schlafen und nicht des Abends hinauszulaufen, ohne etwas Warmes anzuziehen. Thomas sagte, daß er gern ein Dutzend Jacken anziehen wollte, wenn Ella nur fortginge.
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Und so geschah es. Ella verschwand, und zwei Stunden später starteten Pippi, Thomas und Annika, das Pferd und Herr Nilsson zu ihrer Reise nach der unbewohnten Insel.
Es war ein milder Vorsommerabend. Die Luft war ganz lau, obwohl es bewölkt war. Es war ein ziemlich langer Weg bis zu dem See, wo die unbewohnte Insel lag. Pippi trug das Boot über ihrem Kopf. Das Pferd hatte einen Riesensack und ein Zelt auf dem Rücken.
„Was ist in dem Sack drin?“ fragte Thomas.
„Essen und Schießwaffen und Decken und eine leere Flasche. Denn ich finde, wir müssen einen einigermaßen bequemen Schiffbruch haben, da es euer erster ist. Sonst, wenn ich schiffbrüchig war, habe ich immer eine Antilope oder ein Lama geschossen und das Fleisch roh gegessen, aber man könnte ja annehmen, daß es auf dieser Insel hier weder Antilopen noch Lamas gibt, und es wäre doch ärgerlich, wenn wir wegen so einer Kleinigkeit verhungern sollten.“
„Und wozu brauchst du die leere Flasche?“ fragte Annika.
„Wozu ich die leere Flasche brauche? Wie kannst du so dumm fragen! Natürlich ist ein Boot das Wichtigste, wenn man Schiffbruch erleiden soll, aber danach kommt gleich die leere Flasche. Das habe ich schon von meinem Vater gelernt, als ich noch in der Wiege lag. ,Pippi‘, sagte er, ,es macht nichts, wenn du vergißt, dir die Füße zu waschen, wenn du bei Hofe vorgestellt werden sollst, aber wenn du die leere Flasche vergißt, wenn du Schiffbruch erleidest, dann kannst du zu Hause grüßen.“
„Ja, aber wozu braucht man sie?“ fragte Annika wieder.
„Hast du niemals etwas von Flaschenpost gehört?“ fragte Pippi. „Man schreibt einen Zettel und bittet um Hilfe, und dann steckt man ihn in die Flasche, korkt sie zu und wirft die Flasche ins Wasser, und dann schwimmt sie direkt zu jemand hin, der herkommen und einen retten kann. Wie um alles in der Welt glaubst du sonst, daß man bei einem Schiffbruch mit dem 158
Leben davonkommen soll? Alles dem Zufall überlassen, was?
Nee du!“
„Ach so“, sagte Annika.
Endlich waren sie an einem kleinen See, und mitten in dem See lag die unbewohnte Insel. Gerade brach die Sonne durch die Wolken und warf einen freundlichen Schein über das helle Vorsommergrün.
„Wahrhaftig“, sagte Pippi, „das ist eine der nettesten unbewohnten
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