Pirat des Herzens
war ihr einziges Kind. Mutter und Tochter waren sich sehr nahegestanden, und Katherine hatte den Tod der Mutter noch nicht verschmerzt.
Sie hatte gerechnet, zwei Jahre im Kloster verbringen zu müssen, bis eine Eheschließung für sie arrangiert war und sie, wie geplant, bis zu ihrem fünfzehnten Geburtstag verheiratet wäre. Im ersten Jahr hatte Eleanor ihr einen einzigen Brief geschrieben, in dem sie Katherine davon unterrichtete, daß ihr Vater im Tower von London eingesperrt sei und auf die Begnadigung der Königin warte. In den folgenden fünfeinhalb endlos langen Jahren hatte Katherine kein einziges Wort mehr von ihrer Familie gehört.
Die Andacht war zu Ende. Katherine bekreuzigte sich, murmelte »Amen« und erhob sich. Sie wartete, bis die anderen Stiftsdamen die Kapelle verlassen hatten, allesamt Edelfrauen. Manche waren verwitwet, andere waren zu arm, um heiraten zu können. Oder es war ganz einfach eine Tochter zu viel in einer kinderreichen Familie. Die schweren Seidenröcke rauschten über die Steinfliesen. Draußen war es kalt.
Katherine schlang ihren abgetragenen pelzgefütterten Umhang enger um die Schultern. Im Hof blieb sie stehen, während die Stiftsdamen den Speisesaal betraten, wo frisches Brot, Kuchen, Wurst und Käse, Bier und Wein aufgetragen wurden.
»Tust du es?«
Katherine drehte sich fröstelnd zu Juliet, ihrer Freundin und einzigen Vertrauten, um, die das Kloster im Februar verlassen würde, da ihr Vormund sie nach Cornwall gerufen hatte. »Ja.«
Juliet, mit auffallend heller Haut zu dunklem Haar und einem Mund wie eine Rosenknospe, blickte Katherine in die Augen. »Ich bin sicher, die Äbtissin gibt dir diesmal die Erlaubnis. Sie kann deine Bitte nicht wieder ablehnen.«
Katherines Herz schlug heftig, sie drückte Juliets Hand. »Ich fürchte, sie sagt wieder nein.« Schon zweimal hatte sie die Äbtissin ersucht, heimkehren zu dürfen. Die Äbtissin hatte es verboten, da sie weder die Erlaubnis ihres Vaters habe noch Katherine eine Begleitung mitgeben könne.
Juliet lächelte. »Es wäre wunderbar, zusammen zu reisen. Ich hoffe so sehr, daß sie ein Einsehen hat!«
Katherines Wille war nie stärker als diesmal. Sie mußte die Äbtissin überzeugen.
Die beiden Mädchen überquerten den Hof und betraten den Speisesaal, in dem die Stiftsdamen sich laut und fröhlich unterhielten. Sie wurden von Mägden bedient, die sie mit ins Kloster gebracht hatten. Zu Füßen von Lady Montaignier, der Herzogin von Sur-Rigaud, bettelten vier wuschelige Hündchen um Leckerbissen. Das lange Fell über den Ohren war mit rubinbesetzten Haarspangen zusammengehalten.
Die Damen waren so kostbar gekleidet und mit Schmuck behangen, daß kein Fremder auf die Idee gekommen wäre, man befinde sich in einem Kloster.
Katherine war eine der wenigen Ausnahmen. Sie trug alte, abgetragene und vielfach geflickte Kleider. Seit ihrem fünf-zehnten Geburtstag hatte sie nichts Neues mehr bekommen -in dem Jahr waren ihre finanziellen Mittel aufgebraucht, die sie ins Kloster eingebracht hatte.
Wieder kroch Angst in Katherine hoch. Die Äbtissin hatte eine stattliche Summe bei ihrer Ankunft erhalten. Als Katherines Mittel zu Ende waren, hatte die Äbtissin einen Brief an den Grafen geschrieben; doch ihr diskreter Hinweis, er möge weitere Geldmittel schicken, blieb unbeantwortet. Der Graf ließ auch diesen Brief, wie alle weiteren direkten Anfragen, unbeantwortet. Die strenge, aber gutherzige Äbtissin behielt Katherine, obwohl sie nichts für ihren Unterhalt bezahlte.
Katherine hegte größte Befürchtungen, ihr Vater befinde sich erneut im Krieg mit den Butlers. Der Graf konnte die Schmach von Affane kaum ungerächt auf sich sitzen lassen. Wie aber war es möglich, daß er seine einzige Tochter völlig vergaß? Vielleicht steckte Eleanor dahinter. Sie war nur wenige Jahre älter als Katherine, sie war schön, und Ihr Vater liebte sie abgöttisch. Und außerdem konnte sie ihre Stieftochter nicht leiden.
Sollte Eleanor tatsächlich Katherines Vater gegen sie aufgehetzt haben, würde er nicht begeistert sein, wenn seine Tochter ungebeten und unangemeldet in Askeaton Castle auftauchte. Aber sie mußte den väterlichen Unmut riskieren, wenn sie ihr Leben in die Hand nehmen wollte. Zunächst aber galt es, die Äbtissin davon zu überzeugen, dem Kloster ohne die Erlaubnis des Vaters den Rücken kehren zu dürfen.
Nach dem Mahl eilte Katherine bangen Herzens in die Schreibstube der Äbtissin. Von dem bevorstehenden
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