Pirat des Herzens
Hoffentlich kann die Mannschaft die Räuber in die Flucht schlagen, betete Katherine. »Feuer achtern! Feuer achtern!« schrie ein Mann. Der Schrei wurde vielfach weitergetragen.
Katherine und Juliet klammerten sich aneinander. »Was sollen wir nur tun?« flüsterte Juliet.
Katherine überlegte krampfhaft. »Wir müssen hier unten bleiben und die Tür verriegeln.« Bilder einer schmutzigen Horde wilder Piraten, die sich lüstern und blutrünstig auf sie stürzten, stürmten auf sie ein.
»Was ist... wenn das Schiff sinkt? Wir ertrinken. Vielleicht sinkt es schon!«
Wenn das Schiff sank, waren sie verloren. Wenn sie sich an Deck wagten, würden sie ebenfalls sterben. Und wenn das Schiff gekapert wurde... daran wollte und durfte Katherine nicht denken.
Sie mußte Ruhe bewahren.
»Das Schiff sinkt nicht.« Katherine bemühte sich, ruhig zu sprechen. »Wir würden die Schreie der Männer hören.«
»Ja, du hast recht.« Juliets Fingernägel gruben sich durch Katherines Nachthemd in ihren Unterarm. »Das Schiff ist wieder ruhig.«
Katherine rappelte sich hoch und suchte an der Holztäfelung Halt. »Wir bleiben hier unten. Wenn wir merken, daß das Schiff sinkt, laufen wir an Deck. Gemeinsam. Aber nicht vorher.«
Juliet nickte eifrig und ergriff die Hand der Freundin.
Katherine schaute aus dem Bullauge; das Blut gefror ihr in den Adern. Eine schwarze Galeone schob sich ins Blickfeld; weiße Segelflächen blähten sich im Wind. Die schwarzen Rohre der Bordgeschütze glänzten in der Sonne. Das Ungeheuer hielt direkt auf sie zu.
Die Mädchen blickten der tödlichen Bedrohung in starrem, hilflosem Entsetzen entgegen. Die Explosionen über ihren Köpfen drohten das Schiff auseinanderzureißen. Jeder Einschlag setzte sich als ächzendes Beben durch den Rumpf fort, der sich gefährlich nach Steuerbord neigte. Es roch nach beißendem Pulverdampf. An Deck schien Chaos ausgebrochen zu sein.
Plötzlich verstummten die Geschütze. Die Mädchen blickten einander verstört an. »Ist es vorbei?« flüsterte Juliet.
Doch dann setzte erneut Musketenbeschuß ein, gemischt mit Triumphgeschrei. Durch das Schiff ging wieder ein gewaltiger Ruck. Und dann klirrten Schwerter und Degen.
»Sie sind an Bord«, schrie Katherine, halb wahnsinnig vor Angst. »Sie haben uns gekapert!«
Juliet hielt sich schluchzend die Hand vor den Mund.
Katherine schluckte schwer. »Juliet... du weißt, was uns bevorsteht.«
Tränen glänzten in Juliets Augen. »Aber danach... geben sie uns gegen Lösegeld frei.«
»Willst du als Geschändete weiterleben?«
Juliet keuchte. »Ich weiß nicht, Katherine. Ich bin erst fünfzehn. Ich weiß nur, daß ich nicht sterben will.«
Auch Katherine wollte nicht sterben. Doch sie hatte von den Greueln gehört und wußte, daß sie beide sich in wenigen Stunden wünschen würden, tot zu sein. »Wir haben keine Waffen«, sagte sie dumpf.
»Wir können nicht gegen Piraten kämpfen«, entgegnete Juliet.
»Nein«, antwortete Katherine und blickte der Freundin in die Augen. »Um unserem Leben ein Ende zu machen.«
Sie blickten einander unverwandt in die Augen. Sie sprachen nicht mehr. Es gab nichts zu sagen. Ihnen blieb nichts, als ihrem Schicksal gefaßt entgegenzusehen.
Eine Stunde später versuchte jemand, die Tür der Kabine zu öffnen, und rief etwas in einer fremden Sprache. Katherine und Juliet antworteten nicht, rührten sich nicht, atmeten nicht. Schwere Schritte entfernten sich.
Die Mädchen hatten sich angekleidet. Juliet wandte sich verstört an Katherine. »Er sprach gälisch. Ein Ire? Ein Schotte?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Katherine bang. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Wenn du denkst, die verschonen uns, weil ich Irin bin, so täuschst du dich. Piraten kennen kein Ehrgefühl, sie sind blutrünstig und niederträchtig.«
»Psst! Er kommt zurück!«
Die Mädchen standen starr, Hand in Hand. Draußen redeten zwei Männer miteinander. Und dann wurde ein schwerer Gegenstand gegen die Tür geschlagen, Holz splitterte. Beim nächsten Schlag bohrte sich die Schneide einer Axt in die zerfetzte Türfüllung.
Katherine zog Juliet näher zu sich. Sie war älter und fühlte sich für die Freundin verantwortlich. Sie würde Juliet verteidigen.
Dabei konnte sie sich kaum auf den Beinen halten, so sehr zitterten ihr die Knie.
Eine Männerhand schob sich durch den Spalt und schob den Riegel beiseite. Die Tür sprang auf. Zwei Seeleute in schwarzen Kniehosen und groben Hemden stürmten in die
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