Pirat des Herzens
versuchte, nicht daran zu denken, daß Liam sie gerettet hatte. Es gab Momente, da sie dachte, sie habe die Ereignisse der vergangenen Nacht nur geträumt.
Doch ihre geschwollene Wange erinnerte sie schmerzhaft an das, was geschehen war. Sie sah schrecklich aus. Ein Blick in den Spiegel hatte sie davon überzeugt. Ihre rechte Gesichtshälfte war stark geschwollen und hatte sich bläulich verfärbt.
Liam hatte nur einen prüfenden Blick auf ihren Bluterguß geworfen und Katherine dann nicht weiter beachtet.
Sie verlangsamten das Tempo, um einen Bach zu durchwaten. Katherine fand den Zeitpunkt für gekommen, das auszusprechen, was sie so sehr bedrückte. Die Pferde suchten sich vorsichtig ihren Weg durch das seichte Wasser.
»O’Neill?« begann sie unsicher.
Die Pferde erreichten das andere Ufer. Liam blickte sie fragend an. »Kehren wir zur Sea Dagger zurück?« fragte sie stockend.
»Ja.«
Ihr Puls überschlug sich beinahe. Betrachtete er sie wieder als seine Gefangene, nachdem Hugh sie zurückgewiesen hatte? Sie hatte Angst, die nächste Frage zu stellen. Aber sie mußte seine Absicht erfahren. »Wohin bringt Ihr mich?«
Er blickte sie lange durchdringend an. »Wir müssen miteinander sprechen, Katherine. Aber nicht jetzt. Wir unterhalten uns, wenn wir wieder auf dem Schiff sind.«
»Über meine Zukunft?« fragte sie bang.
»Ja.«
»Dann müssen wir jetzt darüber reden!« »Jetzt ist keine Zeit. Überall lungern halbverhungerte Wegelagerer herum, die nach Opfern Ausschau halten.«
Er gab seinem Pferd die Sporen, Katherines Stute galoppierte hinter ihm her.
Gegen Mittag erreichten sie die Stadtmauer und passierten das Nordtor. Sie trabten durch die engen Gassen. Bald kam der Hafen in Sicht. Die Burg mit der britischen Garnison lag zur Linken. Handelsschiffe und Fischerboote dümpelten in der Bucht. Der schlanke, schwarze Rumpf der Sea Dagger, deren weiße Segel im Wind flatterten, war ein atemberaubend schöner Anblick.
An der Kaimauer saßen die drei Reiter ab. Vom Piratenschiff wurde ein Ruderboot zu Wasser gelassen.
»Dürfen wir die Anker lichten?« fragte Katherine.
»Wer sollte mich hindern?« entgegnete Liam leichthin.
»Sir John Perrot.«
»Ich habe ihm nichts zu sagen. Und den Gefallen tue ich ihm nicht zu warten, bis er mir die Erlaubnis gibt, den Hafen zu verlassen.« Liam lächelte ihr aufmunternd zu.
Katherine zweifelte nicht daran, daß Perrot einen Wutanfall bekommen würde, wenn er feststellte, daß die Sea Dagger plötzlich verschwunden war. »Euch gefällt das wohl«, sagte sie vorwurfsvoll.
Er zog die Augenbrauen hoch.
»Ihr liebt die Gefahr. Es macht Euch Spaß, Perrot zu ärgern!«
Er lachte. »Ich habe nie darüber nachgedacht, aber Ihr mögt recht haben.« Er blickte sich suchend um. »He, du da!« rief er und winkte.
Ein zerlumpter Junge kam angelaufen. Liam warf dem ausgemergelten Kind ein paar Münzen zu. »Bring die Pferde zurück in den Mietstall, verstanden?«
»Jawohl, Sir«, antwortete der Bengel beflissen. »Seid Ihr der Piratenkapitän?« fragte er mit großen Augen.
»Genau der bin ich«, antwortete Liam schroff und schaute das Bürschchen finster an. »Nun aber lauf, bevor ich dir den Hintern versohle!«
Der Bengel packte die Zügel der drei Pferde und setzte sich hastig in Bewegung. Die großen Pferde trotteten willig hinter ihm her.
Katherine schaute Liam mit zur Seite geneigtem Kopf an. »Macht es Euch Spaß, einem Kind Angst einzujagen?«
Liam grinste spitzbübisch. »Er erwartet einen rauhbeinigen Piraten. Ich konnte ihn doch nicht enttäuschen.«
Katherine lächelte.
Liams Augen funkelten. Dann drehte er ihr brüsk den Rücken zu. Gestern nacht war er wirklich besorgt um sie gewesen. Doch heute behandelte er sie wie eine Fremde. Warum? Der Mann war ihr ein Rätsel.
Doch was kümmerte sie der Kerl? Er war ein Pirat und Shane O’Neills Sohn - das durfte sie nie vergessen.
Sobald die Sea Dagger die Hafenbucht verlassen hatte und in die offene See segelte, überließ Liam das Steuer seinem ersten Offizier, stellte sich in den Bug und hielt sein Gesicht in die hochspritzende, eisige Gischt. Die Sea Dagger jagte pfeilschnell durch die stahlgrauen Wogen.
Liam durfte nicht zögern, Katherine sein Angebot zu machen. Und davor hatte er Angst. Er, der vor nichts Angst hatte, fürchtete sich vor der Zurückweisung einer Frau.
Katherine hatte Hugh abgewiesen; ihren Freund aus Kindertagen.
Wieso sollte sie Liam als ihren Beschützer akzeptieren, den
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