Piratenblut
deine Worte wie eine Aufmunterung für ihn. Du denkst wohl nicht mehr an mein Glück?« Der Resident lehnte sich im Sessel zurück.
»Was hat Vater denn gesagt?« fragte Frau Cornelia ihre Tochter. Jessie erzählte ihr von der Sinnesänderung des Vaters.
»Das verstehe ich aber auch nicht«, wandte sich Frau Cornelia an ihren Mann. »Damals, als sich
das Kind verlobte, hat uns René versprochen, die Seefahrt bald aufzugeben. Davon ist schon
lange nicht mehr die Rede.«
Der Alte wand sich in seinem Stuhl.
»Ja, ja, ihr habt ja recht; aber auch bei uns hat sich verschiedenes geändert. Wenn ihr schon so jammert, dann muß ich euch eben reinen Wein einschenken. Wir können es uns nicht leisten, einen armen Angestellten zum Schwiegersohn zu haben; denn unsere Finanzen stehen nicht mehr zum Besten.«
»Was soll denn das heißen?« fragte Cornelia mit gerunzelter Stirn.
»Wenn ihr es schon wissen wollt, bitte. Ich habe spekuliert. Ich habe von meinen Ersparnissen Aktien der Reederei Benjamin van Groot gekauft, die früher einmal sehr hoch im Kurs standen. Sie sind im Augenblick fast wertlos. Der Seeräuber Dieuxdonné hat van Groot
an den Rand des Ruins gebracht. Nun aber verfügt René über sehr viel Geld, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß. Geld ist immer gut. Sollte sich van Groot nicht erholen, so haben wir wenigstens einen Schwiegersohn, dessen Reichtum uns ein standesgemäßes Leben garantiert. Hinzu kommt noch, daß ich einen Plan gefaßt habe, zu dessen Ausführung René und sein Geld beitragen sollen. René könnte nämlich sein Schiff zu einem Kampfschiff mit vielen Kanonen umbauen lassen, um dem verteufelten Dieuxdonné zu Leibe zu rücken.«
Die beiden Frauen waren zunächst bestürzt. Jessie hatte sich schnell gefaßt. Sie war immerhin klug genug einzusehen, daß sie sich mit der veränderten Situation, das heißt der Verringerung des van Meerenschen Vermögens, abfinden mußte. So dünkte sie der Plan des Vaters gut. Frau Cornelia dagegen war einer Ohnmacht nahe. Und nur das Riechfläschchen hielt sie aufrecht. »Kennt René deinen Plan schon, Vater?« »Nein. Aber diesmal will ich die Zeit ausnützen, die er an Land verbringt, um ihm die Jagd auf den Seeräuber schmackhaft zu machen.«
52
René war auf sein Schiff zurückgekehrt. Er fand die Mannschaft aufgeregt. Da trat ihm auch schon Pierre entgegen. Die Augen des alten bärtigen Seemannes waren vor Erregung zusammengekniffen.
»Gut, daß Ihr da seid, mon Capitain! Ich habe eine wichtige Nachricht!«
»Schieß los, alter Pierre.«»Keine zweihundert Fuß neben uns ankert eine Ga-leone, die zur Reederei unseres — — Freundes gehört. Ein wunderbares Schiff. Ein herrlicher, gewölbter Bauch, ein fetter Brocken. Uns kribbelt es in allen Fingern.«
»Wo?« fragte Dieuxdonné und blickte angestrengt in die Dunkelheit.
Der Oberbootsmann deutete auf eine in der Ferne schaukelnde Positionslampe.
»Da hinten. Seht Ihr?«
»Ja. Hast du schon herausgefunden, wohin sie fährt?«
»Non, mon Capitain. Ich dachte, wir könnten sie vielleicht heute nacht im Hafen in die Luft jagen. Ich übernehme freiwillig die Führung des Bootes, von dem aus wir das Pulverfaß anbringen können.«
»Hör mal, mon ami, ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß wir bei unseren Aktionen niemals
den Verstand außer acht lassen dürfen. Was denkst du wohl, was die Hafenbehörden dazu sagen
würden?«
»Ich meinte ja nur so.«
»Du sollst nicht meinen. Benutzt den morgigen Tag, um die Zeit des Auslaufens und das Ziel des Schiffes festzustellen. Ich kann nicht die ganze Zeit bei euch bleiben. Ich habe, wie du weißt, auch noch Pflichten an Land.«
Der Kapitän ließ seinen Bootsmann stehen und begab sich in seine Kajüte. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raums breitete er eine Karte aus und studierte eifrig die Lage der vielen kleinen Inseln in der Südsee.
Danach setzte er sich in einen Sessel, lehnte sich zurück, schloß die Augen und dachte nach. Längst vergessen gewähnte Bilder stiegen vor ihm auf. Da war die Mutter, eine kleine zarte Frau. Und da war das Haus, das herrliche, einsame Haus in der Bretagne. Die Sonne
blendete. Er, René, zog sein hölzernes Schwert aus der Scheide. Sein Bruder kam herangestürmt, und die beiden Jungen fochten. So oft war dieses kindliche Spiel von der gütigen Stimme des Vaters unterbrochen worden. Wenn der hochgewachsene, weißbärtige Mann nicht von Geschäften in Anspruch genommen war, erschien er stets im Landhaus
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