Piratenblut
Platz in den Booten und müßten eigentlich schon von den
drei Schiffen, die plötzlich auftauchten, gerettet sein.«
»Gut, dann sagt, was Euch die »Utrecht« getan hat.«
»Eine gute Frage, mein Kind. Nur habe ich keine Lust, sie Euch zu beantworten. Sagt mir lieber, was Ihr in dem Beiboot des Holländers verloren hattet.«
Ellen-Rose senkte die Augen. Doch gleich hob sie sie wieder und meinte keck:
»Das geht Euch nichts an. Ich sitze immer da, wo es mir beliebt.« Dieuxdonné lachte.
»Oh, Ihr seid nicht der erste blinde Passagier, den ich in meinem Leben aufgegabelt habe. Nichtsdestoweniger seid Ihr der reizendste, der mir je begegnet ist.«
»Ich brauche die Komplimente eines Piraten nicht«, erwiderte sie mit blitzenden Augen. »Ob Ihr sie nun braucht oder nicht, das ist gleichgültig. Ich bin Franzose, und es ist meine Art, an schönen Frauen nicht achtlos vorüberzugehen.«
Ellen-Rose schien etwas versöhnt. Der Seeräuber war ein galanter junger Mann, der auf sie Eindruck machte. Sie setzte sich etwas bequemer. Ein Bündel mit ihrem einzigen guten Kleid und das kleine Säckchen Gulden war alles, was sie bei sich hatte. Sie trug eine alte
Seemannshose, aufgekrempelt bis zur Wade, einen braun und weiß gestreiften Sweater, derbe Schuhe und eine viel zu weite Männerjacke.
»Ihr schaut aus wie ein vollendeter Tramp«, meinte der Kapitän und musterte sie von oben bis
unten. »Eigentlich schade um Euch.«
»Wie meint Ihr das?«
»Nun, Ihr seid auf unser Schiff geraten, unfreiwillig zwar, aber doch durch Euer eigenes Verschulden, und wißt nun, wie Dieuxdonné in Wirklichkeit aussieht. Das ist zwar kein Verbrechen, aber da ich keine Mitwisser brauchen kann, bleibt mir nichts übrig, als Euch aufzuhängen und Euch hernach ein anständiges Seemannsgrab zu geben.«
Ellen-Rose bekam einen gewaltigen Schreck. Sie vermochte nicht zu unterscheiden, ob der Kapitän im Spaß oder im Ernst gesprochen hatte. Da er aber nichts tat, um ihren Zweifel zu beheben, sagte sie mit gewellter Ruhe:
»Hört, Kapitän, könnt Ihr nicht jemanden auf dem Schiff gebrauchen, der Euerm Koch zur Hand geht oder sonst irgendwelche Arbeiten verrichtet? Solange ich an Bord bin, kann ich Euch nicht gefährlich werden.«
»Ausgeschlossen«, sagte er. »Das wäre mir eine Geschichte, eine Frau auf einem
Seeräuberschiff! Nein, nein, ich werde Euch lieber aufhängen lassen. Das vereinfacht die Sache wesentlich.« Ellen-Rose sprang auf und stampfte wütend mit dem Fuß auf.
»So stimmt es also doch, Ihr seid ganz der grausame Mensch, als den man Euch schildert! Nur um Eure eingebildete Sicherheit zu wahren, opfert Ihr ein Menschenleben! Ihr seid herzlos!« Er hatte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen.
»Ganz im Gegenteil. Ich habe zuviel Herz. Deshalb will ich ja nicht, daß Ihr an Bord bleibt. Ich könnte sonst über meinem Herzen meine Aufgabe vergessen.«
»Aufgabe, was hat ein Pirat schon für eine Aufgabe! Menschen ruinieren, Schiffe versenken, auf denen andere Menschen ihr Brot finden, eine Sängerin aufhängen, die bisher noch von jedermann als Dame behandelt wurde!«
»Hm«, machte er und knöpfte sich die Jacke zu. »Ihr seid eine Sängerin?« »Ja. Ist daran etwas Besonderes?«
»Und ob. In diesen Breiten gibt es nicht gerade Sängerinnen wie Sand am Meer.«
»Um so schlimmer, wenn Ihr dann die wenigen, die es gibt, auch noch aufhängen wollt.«
»Habt Ihr Anhang, Verwandte, Freunde, Mann oder Bräutigam?«
»Nein. Um mich kümmert sich niemand. Ich bin allein.«
»Und wie alt seid Ihr?«
»Vierundzwanzig.«
Er tat, als überlege er angestrengt.
»Hm«, machte er dann. »Ich habe es mir überlegt. Ich werde Euch nicht aufhängen. Ich werde
Euch lieber eine lange Geschichte erzählen.«
Er stand auf und holte Wein herbei.
»Habt Ihr Hunger?« fragte er.
»Mächtigen Hunger sogar«, meinte sie.
Er rief nach dem Koch und bestellte ein Essen. Als sie sich gesättigt hatte, begann er seine Erzählung.
Er sprach von dem schönen Haus in der Bretagne, von Vater und Mutter, von seiner Jugend, und berichtete, was ihn zu seinem jetzigen Handwerk getrieben hatte.
»Das sieht schon anders aus«, meinte sie nachdenklich, als er nach Stunden geendet hatte.
»Freut mich, wenn Ihr die Berechtigung meines Tuns einsehen solltet. Ihr machtet mir vorhin das Angebot, Euch auf dem Schiff zu behalten. Ich glaube, es wird Euch mit der Zeit langweilig werden zwischen all den wilden Gesellen. Ich hätte allerdings eine Aufgabe für Euch,
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