Piratenbraut
ersten Crew-Treffens noch mal auf. In der Anwesenheitsliste steht in der Rubrik Gäste: »Astrid Geisler – Journalist, Mitgliedsantrag abgeschickt«.
Ich fühle mich beschwingt – und suche nach den Gründen. Ich habe etwas entdeckt, gleich in meiner Nachbarschaft, was ich dort nicht vermutet hätte: Leute wie du und ich, befeuert von der Idee, politisch doch etwas bewegen zu können. Eine bunt gemischte Gruppe, die in lässig-selbstironischem Ton diskutiert, dafür erstaunlich ernsthaft in der Sache. Aber: Wäre ich in den vergangenen Jahren einfach mal zu den Friedrichshainer Grünen gegangen, hätte ich dort vielleicht ganz Ähnliches erleben können?
Mein Freund kommt aus dem Wohnzimmer dazu. »Ich glaub, unsere Piraten hier kannst du echt wählen!«, rufe ich ihm entgegen. Dann erzähle ich von der Debatte, ob die Tram 21 im Jahr 2015 durch die Sonntagstraße fahren oder erst an der Neuen Bahnhofstraße nach Süden abbiegen sollte. Von den Ideen zur Parkraumbewirtschaftung in unserer Nachbarschaft. Und den Plänen für ein Bürgerbüro der Piraten in Friedrichshain. »Ist mir eigentlich egal, wo die Tram 21 abbiegt«, sagt mein Freund. Er schaut mich müde an. Nur die Rechtsberatung für Schwarzkopierer scheint ihn neugierig zu machen.
Eigentlich müsste ich mich über mich selbst wundern. Warum trauere ich nicht um meinen vertanen Abend? Mir persönlich ist die künftige Route der Tram 21 ja auch ziemlich egal. Die Debatte der Piraten über die Parkraumbewirtschaftung war zwar lang, aber ergebnislos. Und meine Samstage weiß ich anders zu verbringen als hinter dem Infotisch einer Partei.
Mit der Vision einer internetbasierten Liquid Democracy hatte diese gesellige Runde im »Caminetto« auch nicht viel gemein – selbst wenn ein paar Laptops auf dem Tisch standen. Hinterzimmer. Wöchentliche Sitzung zur festen Zeit. Abstimmungen nach der Alle-mal-die-Hand-heben-Methode. Debatten bis kurz vor Mitternacht. Nichts für Menschen, die oft beruflich unterwegs sind oder abends ihre Kinder hüten müssen.
Dabei hatten mich die Piraten ja auch deshalb gereizt, weil ich sie für eine modernisierte Version der klassischen Partei hielt. Ich hatte erwartet, die Piratenpartei funktioniere nicht behäbig wie ein Turnverein 1905, sondern flexibel wie ein Fitnessstudio, wo man täglich trainieren kann und nicht nur donnerstags zur festen Uhrzeit. Das stimmt offenbar nicht so ganz.
Eines aber hat mich fasziniert an diesem Piratentreffen: der Schwung. Zwölf Menschen wollen die Politik in ihrer Nachbarschaft aufmischen. Und schaffen das womöglich sogar – zumindest ein bisschen. Ich erinnere mich, wie einer aus der Crew stolz erzählte: Die Grünen hätten gerade von dem monatlichen Infostand der Piraten im Kiez erfahren. »Jetzt wollen die auch so einen Infostand machen!« Triumphales Grinsen. »Das ist genau dieser Effekt, von dem alle reden. Durch unsere schiere Existenz müssen sich die anderen Parteien verändern.«
Womöglich ist das so. Die Crew hat mich angestiftet. Ich werde wieder dabei sein, nächsten Donnerstag im »Caminetto«!
4 »Danke für den Tittenbonus«
4 »Danke für den Tittenbonus«
Was eine »zeitgemäße Geschlechterpolitik« unter Piratinnen, Piraten und Eichhörnchen so alles bedeuten kann
Die eigentliche Frage ist doch die: Warum regt mich das überhaupt gerade so auf? Noch vor drei Wochen hätte ich nicht einmal mitbekommen, was dieser Pirat aus dem Berliner Abgeordnetenhaus so alles über Twitter verbreitet. Nun habe ich vorhin zufällig auf dem Heimweg im Bus einen seiner Kommentare zum Thema Frauenquoten gelesen und bin derart aufgebracht, als wäre er mir persönlich frech geworden.
Dabei kenne ich diesen Mann nur aus dem Fernsehen und der Zeitung. Ich weiß, dass er seit September 2011 im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, dass er permanent in Latzhosen und mit Palästinensertüchern um den Kopf ins Parlament kommt, eigentlich Gerwald Claus-Brunner heißt, aber von Parteimitgliedern liebevoll »Faxe« genannt wird. Sein Beruf: gelernter Kommunikationselektroniker.
»Kommunikationselektroniker« – für mich klingt allein das gerade wie ein schlechter Scherz. Online-Kommunikation scheint jedenfalls nicht Gerwald Claus-Brunners größte Stärke zu sein. »Die Pro-Quote-Frauen zeigen ihr wahres Gesicht und wollen lediglich auch nur Posten mit Tittenbonus«, hat er auf Twitter geschrieben. Einfach mal so. Das sollte wohl sein konstruktiver Beitrag zur Frage sein, ob die Piratenpartei
Weitere Kostenlose Bücher