Piratenbraut
Menschheit von dieser vermeintlich visionären Geschlechterpolitik profitieren?
Ich lege das Grundsatzprogramm wieder auf den Stapel und wundere mich über meine Gedanken. Hätte mich jemand vor drei Wochen gefragt, ob ich Feministin bin, ich hätte geantwortet: Eher nicht. Sollte ausgerechnet diese Partei mich jetzt zur Feministin machen?
Wenn ich ehrlich bin, hat mich Feminismus nie besonders interessiert. Jahrelang vertrat ich die Ansicht: Qualität setzt sich durch. Ich sah keinen Anlass, daran zu zweifeln. Heute, mit 37 Jahren, finde ich meine frühere Haltung ahnungslos. Klar: Manchmal setzt sich Qualität ganz einfach durch. Noch öfter setzen sich Männer durch, mit Qualität – oder eben ohne. Ist nicht das »Tittenbonus«-Statement der beste Beleg?
Ich fürchte: Wer die Gleichstellung der Frauen nicht fördert, der fördert indirekt Männer. Oder lässt ihnen zumindest ihren Frieden unter ihresgleichen. Und in meinem Ärger über diese »Tittenbonus«-Bemerkung frage ich mich gerade, ob es vielleicht das ist, was die männliche Mehrheit dieser Partei will.
Simon Kowalewski, jener frauenpolitische Sprecher der Berliner Piratenfraktion, der mich unlängst beim Parteistammtisch im »Kinski Club« so nett begrüßt hatte, holt mich aus meinen Gedanken. Er hat sich soeben bei Twitter eingeschaltet: »Bin ich nur empfindlicher geworden oder hat die Sexisten-, Rassisten- und sonstige Idiotendichte stark zugenommen in Berlin diese Woche?«, orakelt er. Ich lese die Nachricht noch einmal. Im Wahlkampf hatte Simon Kowalekwski versprochen, es sei sein Ziel als »Radikalfeminist«, »Sexismen im Alltag aufzuzeigen und abzubauen«. Dann müsste er die »Tittenbonus«-Entgleisung aber doch jetzt anprangern – oder wenigstens irgendeine Position beziehen.
Ich werde Simon Kowalewski kontaktieren und an seine Verantwortung erinnern. »Tittenbonus – das wollt ihr als Fraktion doch nicht so durchrauschen lassen, oder?«, twittere ich an seine Adresse. Und: »Radikalfeminist, bitte übernehmen!« Keine acht Minuten später antwortet Simon Kowalewski. Ich bin begeistert: Genauso wünscht man sich das von Piraten!
Aber was schreibt der Abgeordnete da? »Ich palmiere hart über die ganze Diskussion gerade. Hast du meinen Blogbeitrag von heute gelesen?« Nein, habe ich nicht. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht mal seine Antwort. »Hart palmieren«, diesen Ausdruck habe ich noch nie gehört. Ich befrage Google, lande beim Online-Lexikon Wikipedia und kapiere: »Palmieren« bedeutet die Hand vors Gesicht schlagen. Und Simon Kowalewski will mir wohl sagen, dass auch er entsetzt ist.
Manchmal wünschte ich mir, es gäbe bei den Piraten nicht nur einen Esperanto-Squad, sondern auch einen Sprachkurs »Internet-Jargon für Neupiraten«. Klar, Vokabeln wie Shitstorm und Flausch – für virtuelle Schimpfkanonaden beziehungsweise virtuelle Harmoniebekundungen – habe selbst ich inzwischen drauf. Aber in dieser Partei wird ja auch »hart« gelacht, und zwar gerne »aus Gründen«, die Mitstreiter werden »geblockt« oder »entfolgt«, ein »Fail« jagt das nächste »Gate«, die »Kackscheiße« aus der »Timeline« wird mit »Kopf auf Tisch« oder » RTFM « oder » ROFLCOPTER GTFO « kommentiert.
Pling, mein Laptop kündigt eine weitere Nachricht an. Es ist noch einmal der Abgeordnete. Wie nett von ihm als frauenpolitischem Sprecher, sich gleich noch ein zweites Mal bei mir zu melden, obwohl ich ja weder im Netz noch in der Piratenpartei jemand von Rang und Namen bin. Nur steht Simon Kowalewski leider auf kryptische Botschaften: »Man kann erkennen«, schreibt er, »dass da Fronten schmerzhaft verhärtet sind, aber Erkenntnis kann man wohl niemandem aufzwingen ...«
Was will er mir denn damit schon wieder sagen? Vielleicht: Einen wie »Faxe« wird keiner mehr ändern. Das mag stimmen. Aber soll es umgekehrt auch bedeuten: Ein Abgeordneter der Piraten darf sexistisch herumpöbeln – ohne Konsequenzen? Damit kann sich ein Frauenpolitiker doch nicht begnügen. »Erkenntnis erwarte ich auch nicht«, erwidere ich säuerlich via Twitter. »Aber ihr müsst derlei Tittenbonus-Aktionen als Fraktion deshalb nicht tolerieren ...«
Dann warte ich. Aber Simon Kowalewski schweigt. Zur Ablenkung rufe ich seinen Blogbeitrag auf, den er mir vorhin zur Lektüre empfohlen hat. Der Text heißt »Warum Feminismus (für mich) so schwierig ist« und handelt von Simon Kowalewskis jüngstem Wochenendausflug nach Hüll, ein Dorf unweit der
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