Piratenbraut
eine Frauenquote für ihre Kandidatenliste zur Bundestagswahl braucht.
»Tittenbonus«! Als hätten die Piraten nicht ohnehin schon ein Image als latent sexistische Männerpartei. Wie kann sich einer ihrer bekanntesten Vertreter dann auch noch dermaßen bekloppt auf Twitter äußern? Ich stelle mir vor, Jürgen Trittin oder Oskar Lafontaine würden die Frauenquote als »Tittenbonus« bezeichnen. Die wären vermutlich ihre Posten los!
Im Kopf entwerfe ich bereits eine Rücktrittsforderung, ertappe mich dabei und staune: Ich habe vor zwei Wochen meinen Mitgliedsantrag ausgefüllt und bin noch nicht mal offiziell in die Piratenpartei aufgenommen, fordere aber schon den ersten Rücktritt. Hallo?!
Aber müsste nicht wenigstens die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus auf »Faxes« Entgleisung reagieren? Langsam werde ich ungeduldig. Was ist da an diesem Montagmittag los? Sonst sind doch alle bei Twitter permanent dermaßen auf Zack, dass ich mit dem Lesen gar nicht hinterherkomme! Haben die Piraten vielleicht noch nicht kapiert, was ihr Repräsentant da um zwei Minuten vor zwölf herumgetwittert hat?
Die Zeit vergeht, ich warte. Ich hole das Grundsatzprogramm der Piraten von meinem Schreibtisch, schlage das Kapitel Geschlechterpolitik auf: »Die Piratenpartei steht für eine zeitgemäße Geschlechter- und Familienpolitik«, heißt es dort. Und: »Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Geschlechterrolle, der sexuellen Identität oder Orientierung ist Unrecht.« Ich hatte diese Thesen bisher für Selbstverständlichkeiten gehalten. Womöglich war das naiv.
Ich weiß noch, wie erleichtert ich war, als ich nach dem männerlastigen Piraten-Stammtisch im »Kinski Club« ein paar Tage später bei der Crew Prometheus im »Caminetto« fast ebenso viele Frauen wie Männer am Tisch zählte. Habe ich etwa unterschätzt, was es heißt, als Frau bei den Piraten mitzumachen?
Vielleicht reagiert »Faxe« ja auf eine ironische Twitter-Nachricht von mir. »Wow, danke für den Tittenbonus!«, tippe ich an Gerwald Claus-Brunners Adresse. »Noch ein paar solcher Tweets und die Piraten sind Frauenquotenfans!« Nichts passiert. Ich gehe zum Briefkasten, schaue bei Twitter rein, gieße die Tomatenpflanzen auf dem Balkon, schaue bei Twitter rein. Nach – für Piratenverhältnisse endlosen – anderthalb Stunden entdecke ich eine Stellungnahme des Fraktionschefs der Piraten im Abgeordnetenhaus. »Sorry«, twittert Andreas Baum an »Faxe« gerichtet, dieser Frauenquoten-Tweet »geht gar nicht!«. So kann man das natürlich auch sagen.
Mir war ja klar, dass die Piratenpartei eine Männerveranstaltung ist. Auch wenn die Mitgliederverwaltung nicht einmal zählt, wie viele Piratinnen inzwischen in der Partei sind. Es genügt schon, sich die Berliner Abgeordnetenhausfraktion anzuschauen, dann weiß man halbwegs Bescheid: eine Frau und 14 Männer sitzen für die Piraten im Berliner Landesparlament. Und – selbstverständlich – haben Männer alle wichtigen Posten inne.
Auf den ersten Blick kam es mir avantgardistisch vor, wie die Piraten die Lücke in ihrer Parteistatistik begründen: Mann oder Frau, diese Frage solle einfach grundsätzlich keine Rolle mehr spielen und kein Mensch zwangsweise auf ein Geschlecht festgelegt werden. Weder in der Partei noch irgendwo sonst. So stellen die Piraten sich das vor. Beim Bundesparteitag 2011 in Heidenheim forderte eine Piratin sogar: Jedes Parteimitglied solle das Recht haben, sich so zu bezeichnen, wie es wolle – als »Pirat, Piratin oder transsexuelles Eichhörnchen«. Einige halten die Piratenpartei deshalb für »postgender«.
Ginge es nach den Piraten, dann würde selbst der Staat ihrem Vorbild folgen: »Die Piratenpartei lehnt die Erfassung des Merkmals ›Geschlecht‹ durch staatliche Behörden ab«, heißt es im Grundsatzprogramm. Und weil sie es ganz prinzipiell unerheblich finden wollen, ob sich jemand als Frau oder Mann betrachtet, lehnen viele Piraten in der Konsequenz eine aktive Gleichstellungspolitik ab. Begründung: Mit Maßnahmen zur Gleichstellung der Frauen, also zum Beispiel einer Frauenquote, zementiere man letztlich doch nur das überholte, »fremdbestimmte«, »binäre« Geschlechterdenken.
Bis heute früh hätte ich diese Position im Zweifelsfall als überambitioniert eingestuft. Aber das »Tittenbonus«-Statement klingt für mich eher nach billigen Stammtischparolen denn nach geschlechterpolitischer Avantgarde. Würde am Ende nur die eine Hälfte der
Weitere Kostenlose Bücher