Piratenbraut
Eingangstür zur Gebietsversammlung akkreditieren konnte. Und wer noch kein Pirat war, der wurde eben kurzerhand dazu gemacht.
Keine fünf Minuten, dann war ich stimmberechtigtes Parteimitglied der Piratenpartei Deutschland: Enno Park füllte einfach an seinem Laptop einen weiteren Mitgliedsantrag für mich aus, kassierte den Restjahresbeitrag von 28 Euro in bar, stempelte einen handschriftlich ausgefüllten Zettel aus seinem Quittungsblock ab, verkündete knapp, aber freundlich »Willkommen in der Piratenpartei!« und drückte mir einen Briefumschlag mit diversen Stimmkarten in Rot, Blau und Weiß in die Hand. Ab sofort durfte ich offiziell mitentscheiden! Wie wenig ich diese Stimmkarten in den nächsten Stunden tatsächlich einsetzen würde, konnte ich in diesem Moment noch nicht ahnen.
Die Gebietsversammlung startete schließlich mit 25-minütiger Verspätung. Es waren, mich einberechnet, 32 Piraten aus dem Bezirk erschienen. Das Quorum war also erfüllt, jetzt konnte es losgehen. Dachte ich.
Ralf, der Bezirksverordnete aus der Crew Prometheus, eröffnete die Aussprache über die Arbeit der Piraten auf lokaler Ebene. Er tat sein Bestes, die positiven Aspekte herauszukehren. Politisch brauche sich die Bezirksfraktion der Piraten nicht zu verstecken, versicherte Ralf und listete Erfreuliches auf: Die Piraten hätten sich gegen die steigenden Mietpreise bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften starkgemacht, sich für die Friedrichshainer Wagenburg »Laster und Hänger« eingesetzt, und auch die Arbeit im nichtöffentlichen Beschwerdeausschuss laufe prima. »Nur organisatorisch sind wir noch nicht so weit«, sagte Ralf. Die Fraktion habe es bisher nicht einmal geschafft, eine Fraktionssatzung zu verabschieden.
Ich zählte in Gedanken nach: Die Wahl der Berliner Bezirksverordnetenversammlungen hatte am 18. September 2011 zeitgleich mit der Abgeordnetenhauswahl stattgefunden, heute war der 2. Juni 2012. Das machte achteinhalb Monate. Die Fraktion hatte nach einem knappen Dreivierteljahr noch nicht ihre Arbeitsgrundlagen beschlossen? Ich staunte.
Eigentlich hätte an diesem Samstag eine Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden können. Denn bei der Kommunalwahl 2011 hatten die Piraten in diesem Berliner Bezirk sogar deutlich mehr Stimmen bekommen als erhofft. Es standen nicht einmal genug Kandidaten auf ihrer Liste. Von neun gewonnenen Sitzen in der Bezirksverordnetenversammlung konnten die Piraten nur fünf besetzen. Doch von der Siegerstimmung ist bei diesem Parteitag nichts übrig.
Kürzlich hat die Fraktionsassistentin der Piraten im Bezirk gekündigt. Die Politikwissenschaftlerin sollte die Arbeit der Bezirksverordneten unterstützen – also beispielsweise die Buchhaltung erledigen oder die Pressearbeit und Veranstaltungen mitorganisieren. Nun rät sie vor der versammelten Basis ihren potenziellen Nachfolgern: Wer demnächst den Posten übernehme, solle es sich reiflich überlegen. »Da brauchst du gute Nerven!«
Als schließlich die Aussprache beginnt, geht es so richtig los. Die Ex-Mitarbeiterin der Piratenfraktion erzählt, sie sei zuletzt gemobbt worden. Und zwar von einer Bezirksverordneten der Piraten, die ebenfalls hier im Klubheim sitzt. Ralf aus meiner Crew schaltet sich ein. Man sieht ihm an, dass ihn das Thema umtreibt. Seine Fraktionskollegin habe die Angestellte vor großer Runde heruntergeputzt und öffentlich als unfähig hingestellt, berichtet er aufgebracht. »Das ist der Piraten unwürdig!«
Die Angegriffene, eine zierliche Person Anfang dreißig mit Herrenhut auf dem Kopf, wehrt sich mit Gegenvorwürfen: Niemand im Fraktionsbüro habe sie richtig unterstützt. Die Fraktionssitzungen der Piraten im Bezirk seien »der Horror«, versichert sie. Es komme selten vor, dass sich die Leute nicht nach einiger Zeit anbrüllten oder irgendjemand flüchte.
Sobald die Piratin mit Hut etwas sagt, verziehen andere im Raum die Gesichter. Die Hut-Piratin wiederum hat für Gegenargumente offenbar eine Art Spamfilter eingerichtet, so unzugänglich scheint sie für Kritik.
Ich sitze auf einem Holzstuhl hinter dem vergitterten Fenster und frage mich, warum diese Versammlung so läuft, wie sie läuft – und wo die ganzen negativen Energien in dieser jungen Partei herkommen. War es im vergangenen Jahr vielleicht zu leicht, als Pirat an einen Posten zu kommen?
Kürzlich erst hatte ich in einem Spiegel -Essay gelesen, die permanenten Streitereien um Parteitaktik und Personen statt um Inhalte, seien
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