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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Geisler
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andere Rückenlehnen. Die Tresenkraft reicht Nachmittagsbierchen und heiße Bockwurst über die Theke. Einige Piraten haben ihre Laptops aufgeklappt. An einem langen Tisch weiter hinten im Raum sitzen Mitstreiter aus meiner Crew Prometheus mit Denis, dem Kapitän. Die meisten aber habe ich noch nie gesehen.
    Trotzdem war mir nach wenigen Minuten klar: Hier würde es heute noch krachen. Viele in diesem Sportlerheim scheinen sich in Abneigung verbunden. Die Rednerlisten sind endlos, die Situation kommt mir irgendwie verfahren vor.
    Nach zwei Stunden und 43 Minuten haben die Piraten aus dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg genau einen Beschluss gefällt: Sie haben sich für eine von drei vorgeschlagenen Tagesordnungen entschieden. Mit jeder Minute, die ich hinter vergitterten Fenstern im Klubheim »Willi Boos« zubringe, erscheint mir dieser Erfolg beachtlicher. Die Einigung hätte ja ebenso gut auch scheitern können!
    »Es ist jetzt 17.38 Uhr, und wir haben noch nichts geschafft«, ruft die Versammlungsleiterin in den Raum. Dann kündigt sie erst mal eine zehnminütige Raucherpause an.
    Mein Kopf brummt, der Rücken ächzt, als hätte ich eine Waschmaschine in den fünften Stock getragen. Dabei habe ich nur links vom Eingang an der Wand auf einem harten Holzstuhl gesessen und der Gebietsversammlung Friedrichshain-Kreuzberg beigewohnt – so heißt dieses Parteitreffen offiziell. Ich schleppe mich nach draußen an die frische Luft.
    Die Piraten, eine upgedatete Version der klassischen Partei? So kommt mir das heute Nachmittag nicht vor. Wer ernsthaft behaupten will, die Piraten des Jahres 2012 hätten mit den Grünen der ersten Stunde nichts gemein, sollte vorher verpflichtet werden, mindestens zwei Stunden und 43 Minuten an so einem Lokalparteitag in Kreuzberg teilzunehmen. Dann würden ihm vielleicht doch Parallelen auffallen. Zum Beispiel bei der Streit-»Kultur«.
    Es war meine Crew, die mir empfohlen hatte, am ersten Samstag im Juni zu dieser Gebietsversammlung zu kommen. Erstens gehe es um wichtige Themen: Die Vertreter der Piraten in der Bezirksverordnetenversammlung wollten ihre erste politische Zwischenbilanz ziehen, die Abstimmungssoftware Liquid Feedback solle auf Bezirksebene an den Start gehen. Und außerdem könne ich dort – Achtung: Insidertipp! – womöglich ad hoc in die Partei aufgenommen werden. Diese Chance konnte ich mir selbstverständlich nicht entgehen lassen, denn meine Mitgliedsbestätigung ließ ja weiter auf sich warten.
    So hatte ich an diesem sonnigen Samstag kurz vor halb drei auf der Türschwelle dieses Vereinsheims am Rande eines Sportplatzes in Kreuzberg gestanden. In einigen Minuten sollte die Gebietsversammlung losgehen. Drinnen, gleich hinter der Eingangstür, saß Landesschatzmeister Enno Park an einem Holztisch und zählte gerade noch einmal nach: Von den mehr als 550 registrierten Piraten im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg waren erst 27 erschienen. Das waren weniger als die erforderlichen fünf Prozent der Mitglieder. Der Lokalparteitag der Piraten drohte zu scheitern, bevor er überhaupt begonnen hatte – denn mit so wenigen Teilnehmern war die Versammlung nicht beschlussfähig.
    Mir kam der hilfsbereite »Universaldiletant« aus der Parteizentrale in den Sinn. Hatte er nicht geklagt, es gebe zu wenige Piraten, die bereit seien, sich aktiv ins Parteileben einzubringen? Nun verstand ich, was er gemeint haben dürfte. Nur wie passte das zu dem Image einer modernen Mitmachpartei, mit dem die Piraten so erfolgreich für sich warben?
    Ich hatte mir die Piraten als kreative, politisch ambitionierte Leute vorgestellt, die sich einmischen wollen. Ein bisschen chaotisch vermutlich, aber mit Sicherheit keine träge Masse wie bei den großen, etablierten Parteien. Nicht die Programmatik der Piraten hatte mich gelockt, sondern ihre Verheißung, die Bürger politisch zu reanimieren. Gab es da ein Missverständnis? Was kann ein solches Versprechen wert sein, wenn sich nicht einmal die eigenen Mitglieder fürs Mitmachen begeistern lassen?
    Für mich als Neue hatte das Desinteresse der meisten Piraten allerdings einen erfreulichen Nebeneffekt: Ich war plötzlich gefragt. Bisher hatte ich nur gehört, die Piraten litten an Wachstumsschmerzen, sie kämen mit dem Registrieren der Neulinge nicht hinterher, eigentlich täte dieser Partei ein Aufnahmestopp gut. Nun war es mit einem Mal genau andersherum. Der Landesschatzmeister war froh um jeden Einzelnen, den er am Holztisch hinter der

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