Piratenbraut
DGB-Fähnchen, sie tragen auch bayerische Dirndl mit und ohne Schürzen, einige haben sich die Haare zu Zöpfen geflochten oder Putzfrauenkittel im Else-Kling-Stil übergezogen, andere klappern mit Topfdeckeln und Kochlöffeln. Zwei Pressefotografen schießen Fotos.
Mittendrin stehe ich in Jeans und dunkelblauem Anorak. Niemand schenkt mir einen Blick. Einen kurzen Moment lang hoffe ich, die anderen Demonstranten könnten mich für eine orientierungslose Touristin halten. Dann verbiete ich mir den Gedanken. Wegducken gilt nicht, ich bin zum Protestieren hier.
Mit einer Hand krame ich in meiner Umhängetasche. Tatsächlich, ein Schnuller meiner Tochter liegt tief unten in einer Ecke. Er ist sogar orange. Orange, wie die Fahnen der Piratenpartei, die einige Demonstranten mit zum Flashmob gebracht haben! Ich zögere. Sollte ich mutig sein und mir den Nuckel in den Mund stecken – wenigstens kurz? Würde es die Lage irgendwie verbessern, wenn ich mir ein bisschen Selbstüberwindung abverlangte? Brächte es mehr Aufmerksamkeit für die Piraten und ihre Ziele?
Ich selbst kenne hier niemanden, und keiner kennt mich. Andererseits möchte ich doch eher ungern mit Schnuller im Mund auf ein Pressefoto geraten. Ich muss an den Zwischenruf denken, den der Parlamentarische Geschäftsführer der Berliner Piratenfraktion, Martin Delius, vorgestern über Twitter verbreitet hatte: »Immer daran denken: Jeder der Piraten darf sich in der Presse zum Obst machen. JEDER !« Danke für den Hinweis.
Was, wenn so ein Foto später am Tag plötzlich auf der Startseite von Stern.de stünde? Ich höre schon meine Kollegen lästern: Haha, die Astrid, mit Nuckel im Mund vorm Kanzleramt! Der bekommt wohl die Babypause nicht! Ich lasse den Schnuller meiner Tochter zurück in die Tasche rutschen. So humorlos und feige kam ich mir lange nicht mehr vor.
Dabei hatte ich mir diesen Morgen so großartig ausgemalt. Schließlich wollte ich die Spontandemo vor dem Kanzleramt auch zum Netzwerken nutzen. Ich hoffte, hier interessante Leute kennenzulernen – vor allem ein paar mehr Piratinnen aus dem »Kegelklub«. Einige von ihnen müssten heute eigentlich auch hier am Kanzleramt sein. Schließlich war es Laura Dornheim, die Aktivistin aus dem Geschlechterpolitik-Netzwerk »Kegelklub«, die mich gestern Nacht mit ihrer Twitter-Nachricht auf diese Veranstaltung hier aufmerksam gemacht hatte.
Und nachdem ich mich kürzlich bei Mumble halbwegs erfolgreich mit einer ersten Frage in die virtuelle Podiumsdiskussion zum Thema Frauenquoten eingeklinkt hatte, war ich neugierig geworden. Laura kam mir unglaublich umtriebig vor. Die Unternehmensberaterin mit Wirtschaftsinformatikabschluss, die neben ihrem Job noch promovierte, war selbst erst seit gut sechs Monaten bei den Piraten. Doch in ihrem Mitgliedsprofil im Partei-»Wiki« listete sie bereits so viele Aktivitäten auf, als zähle sie zu den Gründungsmitgliedern: Sie hatte Pressegespräche geführt, eine Meinungsumfrage im Namen des »Kegelklub« mitpräsentiert, eine Initiative »für mehr Diversität in und auf Wahlkampfmaterialien« ins Meinungsbildungsportal Liquid Feedback eingebracht und einige Schichten als Ehrenamtliche in der Parteizentrale geschoben. Auch auf der Mailingliste des »Kegelklub« war sie regelmäßig präsent.
In den vergangenen Tagen kursierten dort immer mal wieder Statements gegen das umstrittene Betreuungsgeld. Ich las sie mit Genugtuung und fragte mich zugleich: Wenn meine Piraten diese »Herdprämie« tatsächlich ablehnen – wofür stehen sie dann eigentlich familienpolitisch? Etwa für das ebenfalls nicht unumstrittene Elterngeld in seiner aktuellen Form? So richtig vorstellen konnte ich mir das nicht. Doch das Grundsatzprogramm der Partei gab zu dem Thema kaum Konkretes her.
Dort las ich unter dem Titel »Freie Selbstbestimmung und Familienförderung« nur: »Die Piratenpartei setzt sich für die gleichwertige Anerkennung von Lebensmodellen ein, in denen Menschen füreinander Verantwortung übernehmen.« Unabhängig vom gewählten Lebensmodell genössen »Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen oder schwache Menschen versorgt werden, einen besonderen Schutz«. Die Familienpolitik der Piraten sei »dadurch bestimmt, dass solche Lebensgemeinschaften als gleichwertig und als vor dem Gesetz gleich angesehen werden müssen«.
Zwei Absätze weiter fand sich die Forderung, das Ehegattensplitting abzuschaffen und »ausreichende Betreuungsangebote für Kinder zu
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