Piratenbraut
schließlich bei den Piraten nach wie vor ein Aufreger. Was die Grünen schon bei ihrer Parteigründung 1979 beschlossen haben und die SPD immerhin 1988, stößt in der Piratenpartei auf massiven Widerstand. Gerade einmal drei Prozent der männlichen Piraten wünschten sich bei einer parteiinternen Umfrage im Frühjahr 2012 eine Frauenquote für Ämter in der Partei. Nur 36 Prozent der Männer forderten, dass sich ihre Partei für ein »ausgewogeneres Geschlechterverhältnis unter den Mitgliedern« engagieren solle. Bescheidene 24 Prozent plädierten für eine ausgewogenere Ämterbesetzung bei den Piraten. Fast die Hälfte gaben an, Frauen und Männer in der Partei seien sowieso »vollständig gleichberechtigt«.
Mich macht das neugierig: Wie diese Männer wohl argumentieren, wenn es morgen um die Frauenquote in der Wirtschaft geht?
Am nächsten Abend sitze ich um kurz vor halb sieben startklar am Laptop. Ich bin ein wenig nervös. Was ich sagen will, habe ich mir genau überlegt. Ich höre im Mumble bereits den Moderator mit Laura Dornheim plaudern. Allerdings kann ich mich nur schwer auf das Gespräch konzentrieren, denn alle Teilnehmer der Diskussionsrunde sollen ihre Fragen vorab in einer virtuellen Rednerliste anmelden. Und dafür muss ich parallel zu Mumble noch ein Piratenpad aufrufen und meine Fragen dort eintragen.
Erstaunlich, es klappt. Wenig später steht an achter Stelle unter meinem Kürzel in dem Pad: »Gibt es / Kennst du irgendwelche Beispiele, wo die Frauenquote einem Unternehmen geschadet hätte?« Kritisch fragen geht anders. Aber ich weiß ja seit Lauras Talkshow-Auftritt im ZDF, dass sie ohnehin, genau wie ich, für die Quote in der Wirtschaft ist. Was sollen wir uns da streiten? Ich will ihr lieber vor den ganzen Gleichstellungsgegnern aus der Partei eine Chance geben, die Quote als ökonomisch ungefährlich anzupreisen.
Nach dem »Tittenbonus«-Eklat hatte ich bei dieser Mumble-Konferenz mit einigem gerechnet: mit unflätigen Bemerkungen, heftigen Attacken, Frauenwitzen. Stattdessen beginnt die Diskussion bemerkenswert diszipliniert. Niemand poltert herum. Die Piraten liefern ihre Fragen ab, Laura antwortet sachlich. Die Wortwechsel erinnern mich eher an ein Servicetelefon als eine Kneipenrunde.
»Agx?« Das ist mein Namenskürzel, unter dem ich meine Frage im Piratenpad eingetragen habe. Der Moderator ruft mich auf! Ich drücke die Tastenkombination fürs Mikrofon. Nichts passiert. Keiner hört mich. Wie kann das sein? Wir hatten doch genau diesen Befehl gestern mit Unterstützung des freundlichen Erste-Hilfe-Piraten installiert. »Agx?« Ich drücke noch mal. Wieder nichts. »Agx möchte nicht ans Mikro«, sagt der Moderator knapp und liest meine Frage einfach selbst vor.
Wenig später erklärt Laura der Piratengemeinde: In Norwegen gebe es längst eine Frauenquote in der Wirtschaft. Dem norwegischen Aktienindex habe das nicht geschadet. Im Gegenteil hätten Studien gezeigt, dass Frauen tendenziell weniger risikofreudig agierten – das Ergebnis seien wirtschaftlich stabilere Unternehmen.
Immerhin: Meine Frage hat es auf Anhieb ins Mumble geschafft, sie hat Laura geholfen, vor interessiertem Publikum heute Abend ein wenig für die Quote zu werben. Und ich habe mich nicht mehr ganz so blamiert wie gestern.
6 »Ich hoffe, du kommst noch mal wieder ...«
6 »Ich hoffe, du kommst noch mal wieder ...«
Ein Bezirksparteitag im Sportlerheim wird zur nervenraubenden Zeitreise in die späten Siebzigerjahre
Das Klubheim des BSC Eintracht Südring 1931 e. V. ist ein perfekter Ort für Zeitreisen. Vergilbte Porträts, Mannschaftsfotos und Wimpel an den Wänden erzählen von den großen Stunden in der Geschichte des Kreuzberger Sportvereins. Es stimmt, was der Verein auf seiner Homepage behauptet: Im Klubheim »Willi Boos« ist der »besondere Charme« der Siebzigerjahre bis heute erhalten. In meiner Fantasie kommen gleich ein paar junge, verschwitzte Fußballer mit Rudi-Völler-Frisuren und breiten Schnauzbärten herein. Ob es eine bewusste Entscheidung der Piraten war, ihren Bezirksparteitag vor dieser Vintage-Kulisse zu veranstalten?
Sie passt so frappierend gut. Die Debatten sind endlos, die Stimmung ist gereizt und giftig – wie damals vor gut dreißig Jahren, als die Grünen die Basisdemokratie zu einem ihrer Leitmotive erklärten.
Die hölzernen Wirtshaustische stehen dicht an dicht im Klubheim »Willi Boos«. Wenn ich meinen Stuhl ein paar Zentimeter verschiebe, stoße ich gegen
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