Piratin der Freiheit
Mädchen, jetzt das Schlimmste befürchtend. »Wer hat ihn da wieder he-rauskommen sehen?«
Wieder sahen sich alle an, und schließlich schüttelten alle den Kopf.
Celeste Heredia spürte, wie ihr die Beine versagten.
Sie ließ sich auf den nassen Boden sinken, wobei sie versuchte, sich an der Reling festzuhalten. Schließlich stieß sie einen Schmerzensschrei aus, während sie flehte:
»O nein, lieber Gott! Laß nicht zu, daß er sich diese Idee in den Kopf gesetzt hat. Bitte, lieber Gott…! Bitte!«
Ein feuriger Hauch fuhr ihr durch das Haar, und fast gleichzeitig brüllte ein Donner los, der mächtiger war als der Donner der schlimmsten Gewitter über dem
Niger. Das ehedem so stolze holländische Schiff zer-stob in eine riesige Feuerkugel.
Über tausend Krieger, die gerade noch Triumphge-
sänge angestimmt hatten, flogen in die Luft und stürzten ins Wasser, durch das sofort zahlreiche riesige Krokodile glitten. Kurz darauf färbte sich die aufgewühlte Strömung des großen Flusses rot mit Blut, während entstellte und zerfetzte Leichen und Leichenteile sachte an der Dama de Plata vorbeitrieben.
Erst jetzt verstand der Schamane Sakhau Ndu, warum
die Feuer der Fregatte ihm in der Nacht zuvor von
Schmerz, Niederlage und Tod gesprochen hatten, die
Feuer der Galeone dagegen von Leben, Sieg und Freu-
de.
Jean-Claude Barriere stand auf dem höchsten Turm
seiner majestätischen Festung und ließ sich vom Regen durchnässen, während er den Blick starr in die Ferne richtete und sich vergeblich auszumalen versuchte, was flußabwärts gerade passierte. Gleichzeitig spitzte er die Ohren, um zu hören, was die Trommeln von der wilden Schlacht berichteten, die mit dem ersten Licht des
Morgenrots begonnen haben mußte.
Aber es donnerte heftig, und das Wasser klatschte wie wild auf die Blätter der Bäume. Das erstickte jedes andere Geräusch, als ob sich die Götter darin gefielen, ihm ein weiteres Mal zu zeigen, daß sie die einzigen Herren über das Schicksal von Männern waren, die sie mit einem einfachen Gewitter blind und taub machen
konnten.
Dort, sehr nah, kaum einen halben Tagesmarsch vom
Tor seiner geliebten Zitadelle entfernt, entschied sich das Schicksal seiner Herrschaft und seines eigenen Lebens, und dennoch hatte die absurde Laune eines idioti-schen Gewitters, das zur unpassendsten Zeit kam, sein wohlorganisiertes Kommunikationssystem zum Erliegen gebracht, die Trommeln verstummen lassen und
ihn daran gehindert, Befehle zu geben oder Nachrichten zu empfangen.
Er blickte auf die angespannte Miene der Kanoniere, die an den Lafetten standen und naß bis auf die Knochen waren. Die Mündungen der Geschütze hatte man
mit dicken Stoffetzen verhüllt, damit kein Wasser hi-neinlief. Dann richtete er seinen Blick auf die fünfzig Reiter, die mit stolzer Gelassenheit unter der dunklen Markise des großen Innenhofs warteten.
Ihre Anwesenheit beruhigte ihn: Diese fanatischen
Fulbe, tapfere Kämpfer und überzeugte Moslems, hat-
ten sich sein Vertrauen über viele Jahre hinweg verdient. Daher waren sie zu seiner treuen Leibgarde geworden, von der er sich niemals trennte.
Er wußte, solange sie in seiner Nähe waren, hatte er nichts zu fürchten, denn wenn ein Fulbe einer »Geißel der Ungläubigen« den Treueschwur geleistet hatte,
dann gab er für diesen Mann sein Leben hin, egal, wie die Umstände waren.
Eine Stunde verging.
Es regnete.
Eine weitere.
Es regnete noch immer.
Und die dritte.
Das Gewitter zog allmählich nach Westen.
Aber es regnete noch immer.
Schließlich tauchte ein schneeweißes Pferd mit einem pechschwarzen Reiter auf.
Es war ein Fulbe, kein Zweifel, denn nur ein Fulbe, der daran gewohnt war, in der Wüste zu reiten, konnte so galoppieren.
Mulay-Ali, allmächtiger König vom Niger, Herr über
das Leben und den Besitz von vielen tausend Men-
schen, bemühte sich, seine Eleganz zu wahren, als er die steilen Stufen hinunterstieg, um etwas vor dem
atemlosen Reiter den Innenhof zu erreichen.
»Was ist geschehen?« wollte er wissen, als der Reiter knapp zwei Meter vor ihm zum Stehen kam.
Der Mann, dessen schweißüberströmtes Antlitz und
aus den Höhlen tretende Augen die Größe seines Ent-
setzens und seiner Erschöpfung zeigten, warf ihm einen langen verächtlichen Blick zu, spuckte aus und knurrte:
»Allah möge dich verfluchen! Sie sind tot!«
»Tot?« wiederholte der Mulatte ungläubig. »Wie vie-
le?«
»Alle!«
»Alle?« fragte er entsetzt. »Wie ist
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