Pitch Black
»Mein Bruder Todd hat mir das Skateboard geschenkt«, flüsterte er. »Ich muss lernen, wie es geht.«
»He, Alter«, rief einer der beiden vom Zaun her. »Was willst du denn mit der Lusche?« Er deutete auf das eingeschüchterte Kind.
In Sekundenschnelle war Ethan aufgesprungen, hatte den Jungen am T-Shirt gepackt und zog ihn zu sich hoch, bis ihre Nasen fast zusammenstießen. »Lass ihn gefälligst in Ruhe, sonst landet dein Kopf im Arsch von deinem Kumpel da!« Die Worte stieß er mit zusammengebissenen Zähnen aus.
Die Augen des Skaters weiteten sich, er hob die Hände. »Alter, Mann, immer mit der Ruhe.«
Der zweite wich zurück, außerhalb von Ethans Reichweite. »Genau, Alter, was ist denn los mit dir?«
»Solche Wichser wie ihr, das ist los. Lasst ihn bloß in Ruhe, sonst stopf ich euch beim nächsten Mal eure Eier ins Maul!« Er ließ den Jungen los.
Kaum hatte dieser wieder Boden unter den Füßen, sprang er vom Zaun zurück. »Du irres Arschloch!«
»Irrer als alle, die ihr bis jetzt kennt. Merkt euch das!«
Anstatt durch das Tor rauszukommen, gingen die beiden seitlich weg und kletterten über den Zaun, nicht ohne Ethan dabei böse Blicke zuzuwerfen.
Kaum waren sie drüber, machte Ethan eine rasche Bewegung, als wolle er ihnen nachlaufen.
Sofort zischten sie ab, ohne sich noch einmal umzusehen.
Dankbar sah der Junge auf der Bank hoch. »Jordan.«
»Komm schon, Jordan, schauen wir mal, wie es sich auf dem Ding fährt.«
Jordan war der vorsichtigste, ungelenkigste Junge, den Ethan je getroffen hatte. Aber am Abend war er so weit, dass er auf dem Ding fahren konnte, ohne gleich wieder runterzufallen und sich einen blutigen Arsch zu holen.
Seit diesem Tag waren sie Freunde.
Den Sommer hatten sie viel miteinander unternommen, und Ethan kannte ihn schließlich gut genug, um bereits vor der Bergtour zu wissen, dass mit Jordan irgendetwas nicht stimmte. Die ganze Fahrt über hatte sein Freund keinen Ton gesagt, was nicht ungewöhnlich war, da er in Gegenwart seines Stiefvaters ohnehin eher ruhig war. Aber er war außerdem auch merkwürdig nervös gewesen: zittrige Hände, wippende Knie und ein Gesichtsausdruck wie ein ängstliches Kaninchen. Zudem wich er Ethans Blick aus.
Weshalb nur hatte er Jordan deswegen nicht gefragt? Warum hatte er ihn nicht zum Sprechen gebracht?
Ethan kannte den Grund. Weil er es gar nicht hatte wissen wollen, nicht an dem Tag. Er hatte sich auf den abenteuerlichen Ausflug so sehr gefreut und wollte ihn sich nicht verderben lassen.
Hätte er etwas ändern können? Hätte er Jordan direkt darauf angesprochen, wäre Mr McP dann noch am Leben?
Die Glocke der Cafeteria läutete und bohrte sich Ethan wie ein Schraubenzieher ins Trommelfell. Er verbot es sich, die Hände über die Ohren zu legen und den Lärm zu dämpfen. Er hatte es verdient zu leiden.
6
J. D. Henrys Mutter war ein nervöser, abgemagerter Rotschopf. Nach Gabes Eindruck ernährte sie sich nur von zwei Dingen: Koffein und Nikotin. Noch nie hatte er sie ohne Zigarette in der Hand gesehen, außer gestern im Krankenhaus, wo Rauchen strengstens verboten war. Jedes Mal, wenn er ihr in der Notaufnahme über den Weg gelaufen war, hatte er die zappelige Frau mit einem Becher schwarzen Kaffee in der Hand auf und ab tigern sehen.
Er klopfte an die Tür der Doppelhaushälfte der Henrys. Mrs Henry öffnete und blickte ihn durch einen Rauchschleier an, der von einer Zigarette in ihrer linken Hand aufstieg.
»Mrs Henry, ich würde gern kurz mit J. D. sprechen, wenn’s recht ist.«
Einen Moment lang starrte sie ihn einfach nur an, und er dachte schon, sie würde ihn vielleicht nicht erkennen. »Ich bin Sheriff Wyatt.«
»Ich bin nicht blind. Ich sehe doch die Uniform. Und doof bin ich auch nicht. Sie haben gestern mit mir geredet.«
Nervös und gehässig. Gabe empfand mit einem Mal Mitleid mit J. D. Vielleicht war es kein Wunder, dass J. D.s älterer Bruder im Knast saß. »Kann ich mit J. D. sprechen?«
»Tut mir leid, der ist in der Schule.« Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen.
»Mrs Henry. Ich komme gerade aus der Schule. Dort ist er nicht.«
»Schon gut, Mom«, ertönte J. D.s Stimme aus dem Haus.
Sie drehte sich um und sagte: »Er hat keinen Haftbefehl. Du musst nicht mit ihm reden.«
Gabe brauchte keinen Haftbefehl, es ging schließlich nur um eine Zeugenaussage. »Mrs Henry, Ihr Sohn hat nichts verbrochen. Ich muss ihm nur ein paar Fragen zu Steve McPhersons Unfall stellen. Es ist bloß
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