Pitch Black
Frieden und Kraft. Das Bedürfnis davonzulaufen war verschwunden. Sie wollte so stehen bleiben und sich nicht rühren…vielleicht nie mehr.
Viel zu bald löste Gabe sich. Sanft fuhr er ihr mit dem Daumen über die Unterlippe. »Ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan.«
»Das war das erste Mal heute Abend, dass etwas nicht wehgetan hat. Mach es noch mal.«
Er schenkte ihr ein wunderbar schiefes Lächeln. Im Schein des Lichtbalkens wechselte seine Gesichtsfarbe zwischen blau und rot hin und her. »Eine Frau wie du ist mir noch nie über den Weg gelaufen.«
Sie reckte sich nach oben und küsste ihn sanft. »Vermutlich hättest du lieber eine Frau mit Südstaatencharme als eine mit Yankeedirektheit.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich wusste gar nicht, wie sehr ich Yankeedirektheit liebe…oder vielleicht mag ich sie auch nur an dir.«
So, wie er das sagte, wurde ihr ganz warm im Bauch. Meine Güte, mit dieser Stimme konnte er doch glatt Schlangen beschwören.
Langsam beugte er sich näher zu ihr, knabberte zart an ihrem Nacken und flüsterte ihr ins Ohr: »Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen.«
»Nein«, sagte sie widerspenstig und entzog sich ihm. »Mir geht’s gut. Ich will nach Hause.«
»Maddie…«
»Ich bin doch gerade aus dieser Schlucht da rausgeklettert, oder etwa nicht?« Er sah nicht sehr überzeugt aus. »Es ist zehn Uhr«, fuhr sie fort. »Ethan ist nicht ans Telefon gegangen. Ich muss nach Hause.«
Er umfasste ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie sanft auf die Stirn. »Na gut. Aber sobald wir da sind, untersuche ich dich.«
Bei der Aussicht, diese Hände würden ihren Körper erforschen–wenn auch nur, um nach Verletzungen zu suchen–, überlief sie ein wohliger Schauer.
Er ließ sie in den Beifahrersitz zurücksinken. Dann legte er die Hände um ihre Kniekehlen und schwang ihre Beine in den Wagen, als wäre sie schwerbehindert. Bevor er die Tür schloss, schnallte er sie noch an.
Als er vorne um den Jeep herumging, blieb er auf einmal wie vom Donner gerührt stehen. In dem blinkenden roten und blauen Licht konnte sie in der Dunkelheit hinter ihm nichts erkennen.
Dann sah sie Ethan direkt auf sie zulaufen. Die seltsame Beleuchtung unterstrich seinen angsterfüllten Gesichtsausdruck. In der einen Hand hielt er einen Baseballschläger.
Gabe hob beschwichtigend die Hand. »Alles in Ordnung, Maddie ist nichts passiert.«
Er wies Ethan zur Beifahrerseite.
Ethan riss die Tür auf und fiel neben dem Jeep auf die Knie. »Als ich die Lichter gesehen habe…da habe ich gedacht…« Die Stimme versagte ihm. In seinen Augen glänzten Tränen.
»Mir geht’s gut. Ein Stein ist von der Bahnüberführung runter und durch die Windschutzscheibe meines Wagens geflogen. Daraufhin bin ich von der Straße abgekommen.« Sie legte ihm die Hand auf den Kopf. »Ich war eingeklemmt und kam nicht an mein Handy.« Sie strich ihm das Haar aus der Stirn und fuhr fort: »Es tut mir so leid, dass ich dir solche Angst eingejagt habe.«
Er senkte den Kopf. Sie wusste, dass er das tat, damit sie seine Tränen nicht sah.
»Steig ein«, sagte sie. »Fahren wir nach Hause. Ich bin am Verhungern.«
Er sah zu ihr hoch und blinzelte dankbar die Tränen weg. »Ich auch.«
Sie fragte ihn nicht, wozu er den Baseballschläger dabeihatte. Ein Junge mit seiner Vergangenheit begab sich nicht unbewaffnet in schwierige Situationen.
So gern Madison sich auch auf Gabe gestützt und seine beruhigende Nähe gespürt hätte, hielt sie doch ganz bewusst Abstand zu ihm, nachdem er ihr aus dem Jeep geholfen hatte. Langsam, aber aus eigener Kraft ging sie die Stufen zur Veranda hinauf. Dort stand Ethan und hielt ihr geduldig die Tür auf.
Gabe folgte ihr nach drinnen. »Morgen früh rufe ich gleich Earl Whetzel an, damit er deinen Wagen aus der Schlucht zieht.«
»Das mache ich schon«, sagte Ethan. In seinem Ton schwang gerade so viel Beschützerinstinkt mit, dass Madison hellhörig wurde.
»Hört ihr beide wohl auf, so zu tun, als wäre ich völlig am Ende? Den Anruf kann ich selbst erledigen.«
Gabe nahm sie am Ellbogen und führte sie näher zur Wohnzimmerlampe. Er stellte sich vor sie, legte beide Hände an ihren Kopf und drehte ihr Gesicht zum Licht. »Ich glaube zwar nicht, dass dieser Schnitt genäht werden muss, aber um sicherzugehen, müssen wir ihn säubern.«
Sie konnte Ethans feindselige Blicke angesichts dieser Fürsorglichkeit förmlich spüren.
»Weißt du was?«, sagte sie und entzog sich seinem Griff.
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