Pitch Black
Taschenrechner als wie ein Handy aussehen.
Sie hievte sich in eine sitzende Position, nahm es ihm aus der Hand, wählte und wartete. »Er geht nicht ran. Wo kann er bloß stecken?«
»Lass uns gehen und es herausfinden.« Er steckte ihre Schuhe in die Tasche. »Mit denen brauchst du da nicht raufzuklettern. Glaubst du, du kannst stehen?«
Sie nickte.
Er hängte sich die Tasche über die Schulter und reichte ihr die Lampe. Dann stellte er sich breitbeinig an den Hang, packte sie an den Unterarmen und zog sie hoch. Sie schwankte, fand dann aber das Gleichgewicht wieder.
Er legte ihr den linken Arm um den Rücken, sie ihm den rechten um die Taille.
»Auf geht’s«, sagte sie. Ihre Stimme klang gepresst, und ihm war klar, dass sie noch immer Schmerzen hatte.
»Richte die Taschenlampe auf den Boden. Ich versuche, einen Weg zu finden, wo du barfuß einigermaßen laufen kannst.«
»Ich bin vielleicht ein Stadtmädel, aber meine Füße sind reinstes Tennessee: Schuhe trage ich nur, wenn ich muss.«
Während sie mühsam den Abhang hochkraxelten, schien die Strecke bis zur Straße immer länger zu werden. Um nach unten zu kommen, hatte Gabe nur ein paar Sekunden benötigt; nach oben war es etwas ganz anderes. Als sie endlich die Straße erreichten, war er völlig verschwitzt, und Maddie zitterte so stark, dass das Licht der Taschenlampe auf dem Boden vor ihnen wilde Sprünge vollführte.
Er ließ die Tasche zu Boden gleiten, öffnete die Beifahrertür und schob Maddie auf den Sitz. Die blinkenden Lichter oben auf dem Jeep warfen zuckende Schatten auf ihr Gesicht.
»Okay?«, fragte er und legte ihr die Hand sanft auf die Wange.
Sie sah zu ihm hoch. In ihren braunen Augen standen Tränen. Sie wirkte auf einmal so verletzlich, dass es ihm richtig wehtat.
Bevor ihn sein gesunder Menschenverstand davon abhalten konnte, beugte er sich hinab und küsste sie.
19
Madison schlang Gabe die Hände um den Nacken, klammerte sich an ihn und gab sich voll und ganz dem Kuss hin. Plötzlich war nichts auf der Welt mehr von Bedeutung. Am liebsten wäre sie zerschmolzen und völlig in ihm aufgegangen.
Er richtete sich auf, zog sie hoch und legte ihr die Hände um die Taille. Sie spürte seine festen Muskeln, und endlich fühlte sie sich wirklich sicher.
Sie hatte es geschafft, ihre Angst während der langen Stunden zu bezähmen, doch als die Sonne schließlich unterging und es stockdunkel wurde, war das immer schwieriger geworden. Falls der Mond geschienen hatte, war kein einziger Strahl durch das dichte Geäst der Bäume gefallen. Nur einmal war sie an einem Ort gewesen, der noch dunkler war: in einer Höhle, als der Führer die Lichter ausgemacht hatte. Absolute Dunkelheit, hatte er gesagt, pechschwarz. Und er hatte recht gehabt. Damals hatte sie etwas Erschreckendes über sich lernen müssen.
Absolute Dunkelheit erstickte sie. Sie nahm ihr den Atem und trieb sie schier in den Wahnsinn. Sie wollte nur noch blind loslaufen und eine Lichtquelle suchen.
Und auch wenn sie an diesem Abend nicht von einer Nanosekunde auf die andere in pechschwarze Nacht gehüllt war wie damals in der Höhle, auch wenn es auf natürliche Art langsam dunkel geworden war–das Gefühl zu ersticken war das gleiche gewesen. Sie musste gegen das Bedürfnis ankämpfen zu schreien, heftig um sich zu schlagen und sich irgendwie ans Licht zu kämpfen.
Einmal hatte sie die Innenbeleuchtung des Wagens angeknipst, aber dadurch war ihr die Umgebung nur noch dunkler erschienen. Außerdem hatte sie die Batterie schonen wollen, da sowieso niemand hier unten ein Licht sehen würde. Musik war die bessere Lösung–aber wann sollte sie sie anmachen? Nach acht Uhr abends fuhr unter der Woche kaum jemand auf dieser Straße. Dann hatte sie den Schrei eines Rotluchses gehört und wäre beinahe völlig ausgeflippt. Niemand hatte ihr je gesagt, wie grauenhaft so ein Schrei klang–durchdringend, bedrohlich, sie hatte sich zu Tode geängstigt. Tausendmal schlimmer als der Kater, der die Perserkatze ihres Nachbarn umwarb. Zusammen mit der Dunkelheit war es mehr, als sie ertragen konnte. Also hatte sie die Stereoanlage aufgedreht. Sie würde es Gabe gegenüber zwar nie zugeben, aber sie hatte die Musik nicht nur aufgedreht, um Aufmerksamkeit zu erregen, sondern auch, um die nächtlichen Geräusche des Waldes auszusperren.
Jetzt schien all diese Angst weit weg zu sein. In Gabes Armen konnte sie wieder ruhig durchatmen. Seine wundervolle Stimme schenkte ihr inneren
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