Pitch (German Edition)
Mellendorf, den einzigen, der diese Entlassung auf
den für den Ministerpräsidenten weit günstigeren
Zeitpunkt nach der Wahl verschieben könnte, und es auch tun
würde, wenn die Politik statt den Außenseiter Worbs, den
Insider Mellendorf unterstützte, den Erfahrenen, der über
eine stets erfolgreiche Karriere im In- und Ausland in eine Position
gelangt ist, die ihn als Nachfolger Keisers prädestiniert, hier
ist er, angelangt im Konferenzraum, und seine erste Amtshandlung wird
die Ablehnung von Magellan’s Ads sein, der Agentur, die Worbs
ins Spiel gebracht und die Keiser präferiert hat, er wird
stattdessen die MegaFin-Geschichte mit der Agentur durchziehen, mit
der er den südostasiatischen Markt umgekrempelt hat, er nimmt
Platz, nickt den andern zu, die Werber dürfen kommen.
38
Durch
lichtdurchflutete Flure ...
… geht
Annette Milenz, Marketingassistentin, vorbei an langen Glasfronten
auf der einen, Bildergalerien auf der anderen Seite, eine
fotografierte Erfolgsgeschichte des Automobils neben prunkvoll
gerahmten Gemälden, Portraits von Pionieren in Öl, zu
Beginn sehr realistisch und mit zunehmender Perfektionierung der
Fotografie immer abstrakter werdend, ein Hauch von Kanzleramt für
Wirtschaftsbosse weht durch diese Gänge, lauter Könige des
Kapitalismus, auch Keiser wird hier bald hängen, Annette Milenz
geht gemessen, fast schon zu langsam für die Gruppe um Ferdinand
von Lachmann-Zeil, die sie im Foyer abgeholt hat und nun zum Aufzug
führt, groß, gebräunt und jung und lieblich, so geht
sie, so steht sie da und drückt auf die Neun, acht Augen hinter
ihr hängen an ihren langen blonden Haaren, an ihrem Rücken
und auch etwas tiefer, sie weiß es und genießt es, mit
einem leichten Summen hebt sich der Aufzug, es kribbelt im Magen, die
Tür gleitet auf und sie geht hinaus, sich sachte wie bei einem
Samba in den Hüften wiegend, vier Augen haben keinen Sinn dafür,
dann die Tür zum Konferenzsaal, sie treten ein und umgehen die
heruntergelassene Projektionswand, vor ihnen das U aus Tischen,
Stühlen und Personen, an dessen geschlossenen Ende in der Mitte
Mellendorf sitzt, der Platz neben ihm ist leer, guten Tag, guten Tag,
nehmen Sie Platz, schönes Wetter, gute Anreise gehabt, nein, ein
Stau, ja, mit so etwas muss man rechnen, schön, dass Sie es
trotzdem, endlich, geschafft haben, die Worte gehen durcheinander,
recht zahlreich sind Sie erschienen, wundern sich die Automobilisten
über die Werber, ja, das ist Ihr Team, wir wollten Ihnen zeigen,
wer alles für Sie arbeiten werden wird, wenn ... ja, wenn ...
man wird sehen müssen ... man nimmt Platz, der smarte Neuhäuser
gibt der hübschen Milenz die Kladde mit dem Briefing, die reicht
sie weiter, bis sie, von Hand zu Hand weitergegeben, bei Urius, dem
Marketingleiter, anlangt, doch Mellendorf signalisiert, dass er einen
Blick in sie hineinwerfen möchte, sofort bekommt er sie und
beginnt, beiläufig in ihr zu blättern, die Werber schauen
sich an, Verzeihung, wollte nicht Karl Keiser auch, dochdoch, er
wollte, aber leiderleider, sie haben sich verspätet und so, sie
wissen ja wie das ist, nun, jedenfalls, er ist indisponiert, völlig
unabkömmlich, die Präsentation wird wohl ohne ihn
stattfinden müssen, das wird doch kein Problem sein, oder,
nichts von Keisers Schlaganfall, deutlich von Anfang an die
Herablassung, stattdessen eine verlorene Partie von vornherein, aber
damit muss man klarkommen, schön schon, dass man es überhaupt
soweit gebracht hat, eine Agentur wie Magellan’s Ads
präsentiert nicht jeden Tag vor so einem illustren Kreis, jetzt
muss man durch, zeigen, was man drauf hat, zeigen, dass man das Spiel
zu spielen versteht, auch unter ungünstigen Bedingungen,
neinnein, kein Problem, sagt von Lachmann-Zeil und sein Gesicht
zerspringt in tausend Falten, immerhin, denkt er, so geht es eben,
wenn man bei den ganz Großen vorspricht, man ist dann nur ein
kleiner Werber, er lässt die Augen schweifen, über die
eigenen Leute, über die anderen, und zuletzt, denkt er, sieht
man wenigstens einen kleinen Sonnenschein, er schaut zu der
Marketingassistentin hinüber, Anfang zwanzig mag sie sein, ihre
Ausbildung wird sie vor noch nicht allzu langer Zeit abgeschlossen
haben, viel kann sie noch nicht verdienen, aber sie sieht so aus, als
wäre es genug, um sich die teuren Kleider kaufen zu können,
die sie anhat, traurig sieht sie aus, aber vielleicht ist es auch nur
Unsicherheit, vielleicht nur ein gewünschter Effekt, von
Lachmann-Zeil
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