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Pitch (German Edition)

Pitch (German Edition)

Titel: Pitch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weski
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Karl auf
Kosten der Firma in Auftrag gegeben hat, irgendwann später hätte
es in die Unternehmensgalerie der Konzernführer überführt
werden sollen, auf dich, Karl, sagt sie seufzend, dann wendet sie
sich der zweiten Schublade zu, zieht sie auf und zögert, ein
Bild liegt dort, eine Fotografie, von ihm und der Frau, mit der Karl
sie vor Jahren betrogen hat, der Ruf, Inge Ruf, heute Morgen noch hat
sie daran gedacht, wie sie die Sache damals gemeistert hatten, vorbei
war es gewesen, zumindest schien es vorbei gewesen zu sein, dieses
Bild aber zeigt ihn zusammen mit der Sekretärin, der sie gerade
eben erst am Telefon zu verstehen gegeben hat, dass er bei ihr,
seiner Frau, gestorben ist, und nicht bei der Geliebten, der
ehemaligen, der abgelegten Geliebten, aber dieses Foto sagt etwas
anderes, es kann nicht viel älter als ein paar Wochen sein, es
zeigt ihn so, wie sie ihn noch gestern Abend erlebt hat, es zeigt ihn
mit der Ruf vor einem, vermutlich schweizerischen oder italienischen
Alpenpanorama, das sie, wenn sie genauer hinschaut, sogar kennt, weil
sie mit ihm dort früher selbst einmal gewesen ist, am Comer See
nämlich, in Lecco, jetzt erkennt sie es ganz genau, dahin also
ist er später noch öfter gefahren, nur eben nicht mehr mit
ihr, sondern mit der Ruf, die sie längst als Episode in die
Vergangenheit verdrängt hatte, sie hat weitergeschaut, was noch
in dieser Schublade liegt, Briefe findet sie, von der Ruf, alle
neueren Datums, sie kann es nicht fassen, diese Unverfrorenheit, dass
er diese Briefe unter ihren Augen gelesen und unverschlossen
aufbewahrt hat, wissend, dass sie nie in seinen Schubladen gekramt
haben würde, diese Briefe nimmt sie heraus und liest darin von
Liebesschwüren, von Plänen, in denen sie keine Rolle
spielt, nicht einmal als ein Hindernis, das raubt ihr die Fassung,
sie verliert die Contenance, die sie gewahrt haben würde, wenn
Karl bereits wirklich gestorben wäre, immer öfter greift
sie zum Weinbrand, der einmal für bewussten Genuss destilliert
worden sein muss, ungehemmt spricht sie ihm zu, genauso wie dem
abstrakten Konterfei ihres Mannes, das in bunten Grundfarben
gekleckst an der Wand hängt, es hat ihr nie gefallen, jetzt
schreit sie es an, als könne es hören, was er hören
sollte, du Hundsfott, schreit sie, du Canaille, sie schreit es nicht
aus verletzter oder enttäuschter Liebe, viel tiefer fühlt
sie sich getroffen, heute Morgen, im Angesicht des vermeintlich
Toten, hat sie ihm noch Stil attestiert, Größe, Güte,
und für all das schämt sie sich nun, in Anbetracht der
Endgültigkeit seines Todes hat sie sich in erhabenen
Empfindungen selbst etwas vorgemacht, dieser Verräter aller
Ehrlichkeit ist nie, gar nie zu ihr zurückgekehrt, er hat ihr
nichts verheimlicht, er hat ihr nichts vorgemacht, nur sie selbst hat
Zeichen wahrzunehmen geglaubt, die er ihr gar nicht gegeben hatte,
sicher war sie sich gewesen, dass er zu ihr zurückgekehrt war,
stillschweigend hatte sie ihm verzeihen zu können geglaubt,
wofür er niemals eine Verzeihung erbeten hatte, und jetzt muss
sie sehen, dass diese stillschweigende Übereinkunft nur in ihrem
Kopf stattgefunden hat, dass diese gelungene Altersehe ,
gegründet auf kleinen Gesten der Freundschaft, nichts als ein
Fantasiestück gewesen ist, ein Hirngespinst, und sein Verhalten
nichts als das pure Desinteresse, all das zeichnet sich in ihrem
verstörten Gesicht ab, als sie Pater Abbond die Tür öffnet,
die morgens noch kunstvoll gerichteten Haare, was soll man schon tun,
wenn einem der Mann gestorben ist, als Trost in Alltäglichem zu
suchen, diese vor kaum einer Stunde noch vorbildlich gedrehten Locken
hängen ihr nun in grauen Strähnen ins versoffene Gesicht,
hilflos steht der Priester ihr gegenüber, dieser Erscheinung aus
Tränensäcken, verlaufenem Lidschatten und zerrauften
Kleidern, und weil er diesen Auftritt nur völlig falsch als den
einer von Trauer überwältigten Gattin missverstehen kann,
wird er ihr auch in der kommenden Stunde nicht ein passendes Wort zu
sagen haben, entsetzt hört er ihr höhnisches, Sie kommen zu
früh, Herr Pfarrer, er ist noch nicht tot, und als er
schließlich wieder geht, erleichtert, dieses Haus verlassen zu
dürfen, das er noch lange im Rückspiegel sieht, da wünscht
er sich, an den im Krankenhaus verkabelten Karl Keiser denkend, dass
der Herr jenen doch befreien möge und am besten auch ihn selbst, libera me, domine, de vita aeterna .

36
Während
anderswo im Land …

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