Pitch (German Edition)
verstehen wird, Karl und ich, hat sie ihrer
Schwester erzählt, wir lieben uns, und wir haben uns
versprochen, dass keiner ohne den andern geht, wenn es einmal soweit
ist, Lisa hatte gesagt, dass sei doch Wahnsinn, weil doch niemand
wissen könne, was geschehen werde, und Inge sei doch soviel
jünger als Karl, Jahre, glückliche Jahre lasse sie sich
nehmen durch so ein Gelöbnis, das doch niemand nütze, es
sei, wie es sei, hatte Inge erwidert, und so denkt sie noch, jetzt,
da sie eine Pille nach der anderen schluckt, der Schwan von Tuonela
ist nun angekommen, wo immer er hingeschwommen ist, jetzt läuft
das Opus Sechsundzwanzig, müde wird sie, es beginnt in ihrem
Kopf zu kreisen, nach den traurigen Walzerklängen, sie trinkt
noch etwas von dem Figeac, im Krankenhaus ist sie gewesen, an diesem
Nachmittag, man hat sie nicht zu ihm lassen wollen, aber irgendwann,
fast unbemerkt, war es ihr doch gelungen, dank des netten
Zivildienstleistenden, sie war ihm aufgefallen, als sie gewartet
hatte, auf dem Gang, vor der Intensivstation, gerührt war er
gewesen, von ihrer Traurigkeit, gehalten hatte er sie für
Gertrud, Sie sind seine Frau, hatte er gefragt, und sie hatte gesagt,
ja, das bin ich, stimmte es denn nicht, sie war es doch, die
eigentliche, die wahre Ehefrau, und so war sie zu ihm gelangt, hatte
fünf Minuten von allen gesehen und von keinem bemerkt an seinem
Bett gesessen und von ihm Abschied genommen, hatte die Ringe
getauscht, nun trägt sie seinen, weißgold und mattiert,
locker am linken Ringfinger, und er ihren, rotgold und geschwungen,
über den kleinen Finger gestreift, zu dick war sein Ringfinger
für den schmalen Reif gewesen, sie hatten noch soviel vorgehabt,
reisen, nicht repräsentieren, nicht diese Partys, sondern
segeln, leben auf dem Boot, sie nimmt noch eine von den Weißen,
ist es das wert, fragt sie sich, hätte ich nicht doch noch …
nein … vorbei ist es mit dem Beruf, sie will nichts mehr für
irgendwen organisieren, den sie doch nur an Karl messen würde,
keine Lust hat sie auf ein Leben ohne ihn, noch könnte sie das
Telefon erreichen, vielleicht, jetzt noch, aber es wird ihr schon so
schwer in den Gliedern, hoppala , jetzt hätte sie beinahe
das schöne Weinglas nicht mehr auf den Tisch stellen können,
fast wäre es ihr heruntergefallen, das wäre schade gewesen,
der Tisch schwankt wie Karls Yacht, die sachte auf der See schaukelt,
sie lehnt sich zurück, sie lässt das jetzt mal mit den
Weißen, diese grelle Weiße des Lichts, was für ein
schöner Sonnenuntergang, sie schließt die Augen, sie hört
ein Schnurren, sie hört ein Surren, wie von Katzen, wie von
Tauen, die an Wanten reiben, der Kater springt herüber zu ihr
aufs Sofa und stupst sie sanft mit der Stirn gegen das Kinn, ahoi ,
sie sackt zurück, streichelt ihn, spürt noch, wie er sich
in ihre Bauchgrube schmiegt, längst ist ihr kalt geworden, von
der Brise, die sie ins ungewiss Blaue trägt, sie lässt ihre
Hand ins Wasser gleiten und Karls Ring fällt auf die Oberfläche,
seltsam, dass er nicht versinkt.
73
Draußen
im Bistro Bonjour …
… sitzt
Elli Opak und trinkt einen Café au Lait, sie studiert
Literaturwissenschaft im zweiten Semester und hat gerade einen Brief
geschrieben, der Füller liegt noch unverschlossen auf dem
runden, einfüßigen Tisch, in der Einkerbung des
Aschenbechers verglimmt ihre Zigarette, Elli Opak ist ihr
Künstlername, in Wirklichkeit heißt sie Gisela Kapokowski,
für Gisela könnte sie ihre Eltern heute noch verfluchen, einen noch
altmodischeren Namen hatten sie wohl nicht finden können, doch
aus ihrem Kosenamen Elli und einem Anagramm der ersten zwei Silben
ihres Nachnamens hat sie einen Namen gebildet, der ihr entspricht und
unter dem sie viel erreichen möchte, nicht dass sie bereits
Künstlerin wäre, aber sie wird es werden, das ist ihr
fester Entschluss, sie ist noch ganz erfüllt davon, eben erst
hat sie sich dazu durchgerungen, sie wird schreiben, gerade hat sie
es bereits getan, ihrer Schwester nämlich, mit der sie ein
beinahe zwillingsähnliches Band verknüpft, obwohl diese
tatsächlich elf Monate älter ist, schreiben, hat sie ihr
geschrieben, wird sie, davon leben will sie können, sicher ist
sie sich, dass dies nicht mehr nur ein Mädchentraum ist, einer
dieser verbotenen Träume, die man gerade deshalb so gerne
träumt, weil man sie sich verbietet, und die man sich nur
deshalb verbietet, um sie umso lustvoller träumen zu können,
um so lieber, umso öfter, aber nun soll
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