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Pitch (German Edition)

Pitch (German Edition)

Titel: Pitch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weski
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erscheinen, dabei
ist er doch nur ein Aufschneider mit Seidentuch und einer Warze auf
der Backe, spannender ist der Obdachlose gegenüber, was hat ihn
auf die Straße gebracht, weshalb ist er gestrandet, welchen
Kummer säuft er sich weg, wo schläft er, wo wäscht er
sich, was isst er, oder trinkt der nur, und wo verrichtet er sein
Geschäft, was hat er vor zehn Jahren gemacht und was heute
Morgen, stand er da noch im Supermarkt und hat sich seine
Tagesportion gekauft, vielleicht hat ihm einer das Fläschchen,
das er gerade wegschmeißt, geschenkt, all das malt sich Elli
vor ihrem geistigen Auge aus, in epischer Breite will sie das
darstellen, aber, denkt sie, sie will ja nicht nur über
Sozialfälle schreiben, sondern auch über Lichtgestalten,
Kontrastgestalten, alles soll drin sein, aber wo drin, fragt sie
sich, soll sie Geschichten schreiben, Dramen, Gedichte oder einen
Roman, natürlich einen Roman, und der da müsste auch drin
vorkommen, gerade vor ihr hat
ein schwarzer Wagen gehalten, zwischen ihr und dem Park, an der Ampel
bei der Abzweigung zum Krankenhaus, der Beifahrer ist ausgestiegen,
im schnieken Beigefarbenen, Gott, sieht der gut aus, sagt sie sich,
ein echter Modelltyp, solche Leute, denkt sie, haben gar kein
Innenleben, sie sind reine Oberfläche, anders als Uwe, dann
wieder denkt sie, eigentlich wäre es die Kunst, ihre Kunst,
einem solchen Charakter Tiefe zu verleihen und Erhabenheit, so wie er
gerade da steht, er hat den Weiterfahrenden im Wagen noch kurz
zugewinkt, lässig, freundlich, aber auch gedankenverloren, ein
Tick zu lang seine Haare, etwas zu groß und abstehend die
Ohren, ein Kleinstadt-Odysseus, angespült an fäkalisch
verschmutzte Verkehrsinseln, woher kommt er, wohin schaut er, oh,
lass mich deine Nausikaa sein, er betrachtet das Schild bei der
Abzweigung, ein Mann am Scheideweg, linker Hand geht‘s in alle
Richtungen, rechts nur zum Krankenhaus, jetzt steht er da, beinahe
makellos, bis auf den hellen Fleck auf der Hose, er steht fast direkt
vor ihr, die einfach nur dasitzt mit ihrem zusammengerollten Brief in
der Hand, dieser Fleck erregt ihre Aufmerksamkeit, schon leicht
angetrocknet, in der Leistengegend, das wäre ein gutes Symbol,
denkt sie, die reine Seele, der oberflächliche Schöne hat
ein Mal auf seiner weißen Weste, respektive Hose, das gibt ihm
Tiefe, wie geht er damit um, mit diesem Makel, was wird er machen,
welche Richtung einschlagen, geht er ins Rechte oder in die Irre, ist
das ein Mann, der heute einen guten Tag hatte oder hat er Niederlagen
einstecken müssen, natürlich, denkt sich Elli, müsste
sie ihn eine Wandlung erfahren lassen, er müsste morgens
aufwachen in einer heilen Welt und abends müsste alles anders
sein, er müsste alles verlieren oder gewinnen, aber eigentlich,
denkt sie, ist beides nicht so richtig, weil es nie nur das eine oder
andere gibt, sondern immer nur die Grautöne, und in
Schattierungen wollte sie schreiben, Typen zeichnen, Charaktere
schraffieren, mit spitzem Blei, den da zum Beispiel, wenn er sie
wenigstens nur einmal anschaute und nicht immer nur dieses doofe
Schild, und natürlich müsste die Form eine außergewöhnliche
sein, unzählige Perspektiven würde sie miteinander
verknüpfen, nur Ausschnitte bringen, dann würde es ihr auch
gelingen, so Gegensätzliches wie den hässlichen Penn… äh …
Obdachlosen dort drüben mit dem Schönen hier zu verbinden
und auch den Tomatensafttyp mit hineinzubringen, ansatzlos könnte
sie schreiben, als Ausdruck für die Polyphonie, das war Uwes
Lieblingswort, er betonte es immer leicht überspitzt, Polü-fonü ,
und sie, sie wollte eine neue Avantgarde begründen, irgendwas in
der Art jedenfalls müsste es sein, ach, wenn er nur ein paar
Worte sagen würde, jetzt, zu ihr, Entschuldigung, sagt er
tatsächlich, ein wenig fahrig, kannst du mir sagen, wie spät
es ist, so etwa kurz vor acht, sagt sie überrascht, danke sagt
er, sie hört ihn noch murmeln, Mellie, ich muss zu Mellie, dann
wendet er sich um und geht in Alle
Richtungen.

74
Chinchin,


    … sagt
der Pianist des Trio Furioso zu der Dame an der Bar, die sich
als Jana vorgestellt hat, ja, hat Frank Rulo gesagt, wir haben
telefoniert, die andern beiden Drittel des furiosen Trios bauen noch
das Schlagzeug auf oder stimmen den Kontrabass, er selbst nippt schon
am ersten Caipirinha, die Säure der Limetten prickelt auf seiner
Zunge, mit der er das zerstoßene Eis am Gaumen zerdrückt,
über den Glasrand hinweg betrachtet er die

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