Pitch (German Edition)
aus all der Tändelei
Ernst werden, denn sie will nicht nur vom Schreiben leben, sondern
auch umgekehrt über das Leben schreiben, über ihr eigenes,
aber auch über das anderer, über die Menschen, über
jeden einzelnen, der hier um sie herum sitzt, hat denn nicht jeder
von ihnen ein spannendes Leben, so ein spannendes wie sie, denn auch
sie hat ihr kleines Geheimnis, heute, an diesem Nachmittag, war sie
bei ihrem Professor, bei, ja, jetzt darf sie ihn ja Uwe nennen, wegen
der Besprechung ihrer Hausarbeit, und Uwe, das hat sie gleich
bemerkt, war scharf auf sie, nicht erst seit heute, schon das ganze
Semester über war sie ihm aufgefallen, geschickt hatte
sie gleich bei ihrer ersten Wortmeldung seine Habilitation zitiert,
doch wie zufällig so, als sei ihr entfallen, wie das Buch hieß
und wer es geschrieben habe, so konnte sie ihrer Bewunderung Ausdruck
verleihen, ohne sich allzu offensichtlich bei ihm einzuschmeicheln,
errötet war sie, als er einfließen ließ, dass er der
Verfasser sei, und leicht die Augen niederschlagend hatte sie
registriert, dass sein Blick mit Wohlgefallen auf ihr ruhte, seitdem
sprach er öfter nur für sie, ihrer Richtung zugewandt,
dann, bei der Festlegung ihres Referatsthemas, hatte sie, es war ein
so sommerlicher Frühlingstag gewesen, ein tief ausgeschnittenes
Top mit Spaghettiträgern getragen, und wie zufällig hatte
sie ihren Ordner mit den Aufzeichnungen von ihren Knien rutschen
lassen, als sie in seinem Büro ihm gegenüber auf dem Sofa
saß, anmutig hatte sie sich gebückt und die
herumstromernden Blätter aufgelesen, mit braunen Rehaugen
entschuldigend zu ihm aufblickend, und der Professor, Uwe, hatte
nicht verbergen können, dass er betroffen war, von der Schönheit
ihrer ... Augen, ganz
rallig hatte sie ihn gemacht an diesem Nachmittag, verstört, als
müsse er sich halten, hatte Uwe seine Hände abwehrend vor
seinem Bäuchlein gefaltet, und heute endlich, kaum drei Stunden
ist es her, als sie ihm ihre Konzeption zeigte, ihre These
vorstellte, über Epik und dass diese immer in die Breite ginge,
im Gegensatz zur unendlich tiefen Lyrik, er war darob ganz Zustimmung
und Wohlwollen gewesen, heute also, war es passiert, sie hatte ihre
Hand so auf dem Tisch platziert, dass er gar nicht anders hatte
können, als sie zu streifen, Verzeihung hatte er gemurmelt, aber
dann war es geschehen und jetzt bereits konnte sie so genau gar mehr
nicht sagen, wie sich das Ganze im Folgenden ergeben hatte, hatte sie
nun seine Hand gehalten oder er noch, bei einer fahrig
entschuldigenden Geste ihre Brust gestreift, eventuell sogar
absichtlich, mit Bestimmtheit sagen konnte sie das nicht, Fakt war,
dass sie es getan hatten, sie, die gerade mal Zwanzigjährige,
und er, der Endfünfziger, Knappsechziger, schön war es
gewesen, eine Erfüllung, für sie beide, beinahe jedenfalls,
denn so ganz auf Anhieb hatte es freilich bei ihm nicht glücken
mögen, gezaudert hatte er, mitten im Geschehen, wiewohl sie vor
ihm sitzend, beidhändig umschlossen hielt, was in seiner
röhrigen Knittrigkeit dem
jetzt in ihren Händen gerollten Brief an die Schwester ein wenig
ähnelte, aber voll Verständnis hatte sie sich gezeigt und
so dem Zaudernden Mut gemacht, ihn vorangetrieben, ins Abenteuer, und
erst später, als es vorbei war, hatte ihn der Kleinmut wieder
gepackt, das Gewissen, das ihn an seine Frau, seine Kinder, seine
Stellung erinnerte, und gestottert hatte er, als könne er sein
Tun dadurch sühnen, wollen Sie, willst Du mein Hiwi sein, das
wollte sie, das war sie jetzt, und promovieren würde sie auch,
genauso wie schreiben, zum Beispiel über solche Ereignisse wie
dieses heute, deshalb auch der undurchdringliche, alles
verschleiernde Name, Elli Opak, sie lässt den Blick schweifen,
über das weite Feld möglicher Themen, die nur den
Hintergrund bilden werden, zu allem, was sie selbst bewegt, dennoch,
auch Kulisse will exakt gemalt sein, genauso wie die Statisten, und
sind es nicht die kleinen Details, die jedem von ihnen etwas Eigenes
verleihen, dem dort drüben etwa, dem Pe... äh, Obdachlosen,
der dort wie ein Fremdkörper im Park jenseits der Straße
steht und sich ziegenbärtig unterm Birnbaum einen Schluck aus
der Flasche gönnt, oder der Typ am Nebentisch, der sich gerade
etwas Tabasco in seinen Tomatensaft tröpfelt, was haben sie
gemacht, der eine, der andere, der Tomatensafttyp ist so ein
Intellektueller, er liest blasiert das Feuilleton und glaubt, das
rote Dickflüssige ließe ihn eigenartiger
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