Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
Vom Netzwerk:
Brücke diente ein am Ufer deponiertes Brett, das Lalis Bruder geschickt in Stellung brachte. Iwan warf einen skeptischen Blick auf den schmalen Behelfssteg, unter dem das unheildrohende Wasser plätscherte.
    Lali balancierte behände darüber hinweg. Iwan beobachtete fasziniert, wie anmutig sich ihre Beine unter dem Rock bewegten. Äußerst … leichtfüßig. Als sie drüben angekommen war, fasste er sich ein Herz und folgte ihr mit unbeholfenen Schritten.
    Nun saßen sie zu dritt in der kleinen Hütte, und Lali bewirtete den Digger mit Tee. Hinter Iwans Rücken tickte eine Uhr.
    »Können ich und mein Bruder irgendetwas für Sie tun?«
    »Sie für mich?« Iwan sah ihr in die Augen. Gleich wird sie den Blick senken, dachte er, doch nichts dergleichen geschah. »Vielleicht sollte lieber ich Ihnen helfen?«
    Der junge Kerl ballte die Fäuste und verzog das Gesicht.
    »Danke, kein Bedarf«, giftete er und verließ die Hütte.
    »Nehmen Sie es meinem Bruder nicht übel«, sagte Lali. »Er steht in letzter Zeit völlig neben sich. Er war auf dem Jahrmarkt an der Sadowaja-Sennaja und hat sich dort unglücklich verliebt.«
    »Oje«, erwiderte Iwan mitfühlend. »So was kommt vor. Und wie ist die Sache ausgegangen?«
    Lali schmunzelte.
    »Die Frau hat ihn abblitzen lassen, und seither ist er eifersüchtig auf alle Männer zwischen zwanzig und hundert. Stellen Sie sich vor, sie hat ihn einen Milchbuben genannt.«
    Starker Tobak, dachte der Digger. So was kann man sich natürlich nicht bieten lassen.
    »Du hast ein sehr interessantes Gesicht«, sagte Iwan, der einfach kein »Sie« mehr über die Lippen brachte.
    Die junge Frau lächelte.
    »Ich bin zur Hälfte Georgierin«, erklärte sie. »Und mein Bruder ist zur Hälfte Russe. Deshalb ist er auch so ungenießbar. Trinken Sie ruhig.« Sie schob Iwan den Becher hin. »Er möchte entweder Georgier oder Russe sein. Ein Mittelding geht ihm gegen den Strich. Sagt er jedenfalls selbst. In Wirklichkeit ist aber diese Frau der Grund für seine schlechte Laune.«
    »Wer ist sie?«
    Lali beugte sich verschwörerisch zu Iwan. Ihr langes Haar berührte seine Wangen.
    »Eine Hexe«, flüsterte sie.
    Der Hauch ihres Atems kitzelte an Iwans Ohr. In ihrer Stimme, die rein wie Quellwasser klang, lag dieser vertraute Ton. Sie war noch sehr jung und doch schon eine Frau. Nicht weil sie bereits irgendwelche Erfahrungen gemacht hatte, sondern aufgrund ihrer inneren Haltung und ihres Gespürs für sich selbst. Mädchen warten auf Männer, Frauen manipulieren sie. Sie ordnen sich unter, behalten jedoch stets die Zügel in der Hand.
    Eine georgische Prinzessin, dachte Iwan.
    Zum Abendessen gab es erwartungsgemäß Aal, gedünstet in dunklen Blättern, die dem Gericht eine säuerliche Schärfe verliehen. Danach brachte Lali Tee.
    Iwan konnte sich überhaupt nicht an ihr sattsehen. Natürlich starrte er sie nicht ununterbrochen an, doch er behielt sie immer im Blickfeld, so wie man beim Diggen stets den Kontakt zum Partner hält. Doch anders als bei den beklemmenden Ausflügen an die Oberfläche war die Atmosphäre in Lalis Hütte mit einer prickelnden sexuellen Spannung eingefärbt. Wie ein bescheidenes Glas Wasser mit rosa Erdbeerbrause. Iwan gefiel alles an der georgischen Prinzessin. Ihre Bewegungen und Gesten waren ebenso weiblich und souverän wie temperamentvoll und kokett, ihre Ausstrahlung völlig natürlich und nicht im Mindesten aufgesetzt.
    Zwischen Iwan und Lali herrschte eine stille, in sich ruhende Zuneigung, wie sie nur entsteht, wenn zwei Menschen einander gefallen und sich dessen gewiss sind. Sie bleiben sie selbst, gehen ihren alltäglichen Verrichtungen nach und halten doch ständig Tuchfühlung. Tuchfühlung halten. Iwan musste schmunzeln. In Lalis Hütte gewann dieser Begriff eine völlig andere Qualität als dort oben in der feindseligen, leeren Stadt.
    Zwischen ihm und Tanja war das alles ganz anders.
    Wie gern hätte Iwan in diesem Augenblick alles andere vergessen: Kusnezow, der drüben auf der Insel in Ketten herumlief. Den Oberführer, der sich immer mehr ins Vergessen trank, anstatt sich zu erinnern. Und – Iwans Wange zuckte – Sasonow.
    Beim Gedanken an Sasonow empfand der Digger keinen glühenden Zorn, sondern nur eisige Kälte.
    Eine beklemmende Kälte, wie sie oft in der Stadt oben herrschte. Piter. Mit dicken Eispanzern überzogene Löwen aus Granit. Schnei dende Winde, die wie gefrierender Atem durch die leeren Straßenschluchten heulen.
    Diese Stadt. Ihr Kern

Weitere Kostenlose Bücher