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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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platzte Iwan heraus. »Wozu das denn? Dort liegt doch kein Stein mehr auf dem anderen.«
    »Du hast echt keine Ahnung, Mann«, erwiderte der Oberführer. »Die Moskauer Metro ist ein Atomschutzbunker vom Feinsten. Weißt du, wo ich studiert habe?«
    »Wo denn?«
    Alles hatte der Oberführer also doch nicht vergessen.
    »In der Kerosinka. So nannte man die Uni für Erdöl und Gas am Lenin-Prospekt. Die fünftgrößte in Europa übrigens.«
    »Wow. Und?«
    »Die älteren Semester hatten uns erzählt, dass sich im Keller der Kerosinka ein Atomreaktor befindet. Das schauen wir uns doch mal an, hab ich mir gedacht und bin dort mal runtergestiegen. Uiuiui, keine gute Idee – alles streng bewacht. Die haben mich weggejagt wie einen räudigen Hund. Ich hatte noch Dusel, dass sie mich nicht eingebuchtet haben. Denn mit diesem Reaktor wird die Metro-2 mit Energie versorgt. Von der Metro-2 hast du aber schon gehört, oder? Du weißt schon, D6! Und du, schon gehört?«, wandte er sich an Artjom.
    »Äh … nein.«
    »Alle reden doch davon, was die Moskauer für ein Glück hatten. Dass sie sich in ihre geheime Metro verkrochen haben und dort Ananas mit Kapern futtern.«
    Artjom senkte verlegen den Blick. Es war ihm anzumerken, dass ihm eine Frage unter den Nägeln brannte.
    »Was denn?«, erbarmte sich der Oberführer. »Na, sag schon.«
    »Was sind Kapern?«
    Als Artjom ihn bat, etwas Persönliches mit ihm zu bereden, nickte Iwan. Auf dieses Gespräch hatte er gewartet.
    Sie gingen eine Weile am Seilgeländer entlang, das die Hauptinsel umgab, und blieben dann stehen. Die Laterne über ihren Köpfen knisterte leise. Es roch nach Ozon. Artjom bückte sich, hob eine große Fischgräte auf und warf sie ins Wasser. Er wartete, bis es an der Stelle von Aalen wimmelte, dann wandte er sich an Iwan.
    »Lass meine Schwester in Ruhe, Digger«, sagte er barsch. »Verstanden?«
    »Ich bin ja nicht taub«, erwiderte Iwan. »Sag mal, warum kannst du mich eigentlich nicht leiden? Ist es nur wegen deiner Schwester?«
    »Nein, nicht nur deswegen …« Er zögerte. »Du … Du siehst unserem Vater ähnlich.«
    Iwan zog die Augenbrauen hoch. Das Leben hielt doch immer wieder Überraschungen parat.
    »Dem Oberst der Raketentruppen?«
    »Ja. Unser Vater hat uns sitzen lassen«, erzählte Artjom verbittert. »Dem war das egal. Er ist einfach gegangen. Und wir sind geblieben.«
    Irgendwie ähneln sich unsere Geschichten, dachte Iwan, als er den trübsinnigen Jungen betrachtete. Nur dass es bei mir umgekehrt war.
    Iwans Mutter hatte seinerzeit den Vater ihres Sohnes verlassen. Sie hatte immer behauptet, es sei die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Doch manchmal hatte Iwan sie nachts weinen gehört und gedacht, dass die Liebe daran schuld war. Damals hatten sie an der Station Prospekt Bolschewikow gewohnt.
    »Wie heißt sie?«, fragte der Digger aus heiterem Himmel.
    »Was?« Artjom erblasste. »Wie heißt wer?«
    »Du weißt schon«, erwiderte Iwan. »Deine Hexe.«
    Artjom ballte die Fäuste, presste die Lippen aufeinander, und seine Wangen pulsierten.
    »Sie ist keine Hexe!«, entrüstete er sich. »Sie heißt Lachesis und sie ist die schönste Frau der Welt!«
    Iwan nickte.
    »Und weiß sie das auch?«
    Artjom ließ wieder den Kopf hängen.
    »Sie hat gelacht, als ich es ihr gesagt habe.«
    Iwan seufzte.
    »Du bist nicht der Erste und nicht der Letzte, dem so etwas passiert. Viele Frauen sind so, glaub mir. Sie lachen, wenn sie eigentlich weinen müssten – und umgekehrt.«
    »So, so«, entgegnete Artjom und schaute Iwan eifersüchtig an. »Wenn du es ihr gesagt hättest, hätte sie bestimmt nicht gelacht. Das weiß ich genau.«
    Komisch ist das mit uns Männern, dachte Iwan. Wir geraten selbst an Orten aneinander, an denen wir uns unter normalen Umständen nicht einmal begegnet wären.
    »Ich verlasse Neuvenedig«, sagte Iwan. »Noch heute. Und für immer. Pass auf deine Schwester auf. Sie ist eine wunderbare Frau.«
    Die Zeit des Abschieds war gekommen. An der Fähre – eigentlich nichts anderes als ein Floß – versammelten sich Menschen. Außer Iwan und Kusnezow fuhren noch sieben andere Passagiere mit: zerlumpte, bärtige Gestalten mit Taschen und Stöcken. Als er näher kam, bemerkte Iwan, dass sie blind waren. Ihr Blindenführer war ein dürrer, knochiger Mann, der eine gefütterte, viel zu große Jacke trug. Interessanterweise war auch er blind.
    »Kommst du mit?«, fragte Iwan.
    Der Oberführer schüttelte den ehemals kahlen Kopf,

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