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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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ist das so, Prof?«
    »Mit Ihren Weibern sind Sie auf dem falschen Dampfer«, sagte Wodjanik.
    »Kein Wunder«, entgegnete der Oberführer. »Mit Weibern ist man immer auf dem falschen Dampfer.«
    »Reden Sie keinen Unsinn, hören Sie lieber zu. Bei der Kastration im Knabenalter kommt es zu einer Störung des hormonellen Gleichgewichts. Normalerweise wird das Knochenwachstum bei Heranwachsenden durch die Wirkung des Testosterons rechtzeitig gestoppt. Bei Kastraten ist dies nicht der Fall. Deshalb werden sie sehr groß, haben lange Arme und blasse, glatte Haut. Diese Eigenschaften verdanken die Kastraten also …«
    »Dem Schlachtermesser, genau«, ergänzte der Oberführer.
    »Würden Sie mich gütigerweise ausreden lassen?«, entrüstete sich Wodjanik.
    »Entschuldigen Sie, Prof«, sagte Iwan. »Er wird es nicht wieder tun.«
    »Während der Renaissance waren die kastrierten Knaben äußerst gefragt. Sie sangen in Kirchenchören und manche von ihnen wurden zu gefeierten Opernstars. Historiker haben hochgerechnet, dass damals bis zu fünftausend Knaben pro Jahr kastriert wurden.«
    »Abartig«, kommentierte der Oberführer sichtlich beeindruckt.
    »Die einzigen Tonaufnahmen vom Gesang der Kastraten stam men von Alessandro Moreschi, einem der letzten berühmten Kastraten der Oper.«
    »Haben Sie diese Aufnahmen gehört?«, fragte Iwan.
    »Ja. Um ehrlich zu sein, hatte ich zwiespältige Gefühle dabei. Wenn man sie dagegen hier leibhaftig singen hört …«
    Wodjanik versank in Gedanken.
    Iwan ließ den Blick über seine Begleiter schweifen. Sie gaben kein allzu fröhliches Bild ab. Nach dem bedauerlich kurzen Intermezzo in der Freiheit saßen sie nun schon wieder fest und waren womöglich vom Regen in die Traufe gekommen. Kusnezow wirkte verloren, der Professor nachdenklich, Mandela eher gleichmütig. Der Oberführer leckte sich über die aufgeplatzte Lippe, knackte mit den Fingern und stierte grimmig vor sich hin.
    »Wie geht’s?«, fragte ihn Iwan.
    »Super. Einfach fantastisch.« Der Oberführer zuckte mit den Achseln. »Dort wollten sie uns blenden und hier wahrscheinlich kastrieren, oder wie?«
    Rosige Aussichten.
    »Dann schon lieber blenden«, murmelte Iwan.
    »Ich kann dich verstehen, Junge.«
    Die Zeit dehnte sich endlos. Warum, zum Teufel, hatte man sie festgesetzt? Iwan begann im Raum auf und ab zu tigern.
    »Ich hasse es, wenn man nicht erkennt, ob einer ein Männchen oder ein Weibchen ist!«, schimpfte der Oberführer.
    »Geht mir genauso«, pflichtete Mandela bei.
    Der Oberführer drehte den Kopf. Der bleierne Blick seiner blauen Augen bohrte sich langsam in den Dunkelhäutigen wie ein Messer in ein Stück Fleisch. Dann zog er das Messer wieder heraus und schloss die Augen.
    Mandela schluckte.
    »So sollte es auch sein«, sagte der Oberführer immer noch mit geschlossenen Augen.
    »Nur mein Äußeres ist nicht ganz so, wie es sein sollte, oder?«, fragte Mandela provokant.
    Der Skinhead zog die Augenbrauen hoch. »Siehst du, Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Kluges Kind.«
    »Du kannst mich mal«, konterte Mandela kühl.
    Iwan stellte sich zwischen die beiden.
    »Jetzt reicht’s aber! Ihr geht mir langsam auf die Nerven. Wir sitzen hier alle im gleichen Boot, und wenn wir aus der Misere wieder rauskommen wollen, müssen wir zusammenhalten, ob euch das passt oder nicht. Ihr benehmt euch wie im Kindergarten, verdammt. Die da draußen hinter der Wand hören bestimmt zu und lachen sich kaputt.«
    »Schwing keine großen Reden, Mann«, erwiderte der Oberführer. »Frag lieber mal Mandela, was er am Proswet verloren hatte.«
    Iwan sah den Schwarzen fragend an. In der Tat …
    »Nichts Besonderes«, sagte Mandela ausweichend. »Ich hatte da nur was zu erledigen.«
    So, so, das wollen wir dann aber doch genauer wissen, dachte Iwan bei sich und nahm sich fest vor, bei passender Gelegenheit auf das Thema zurückzukommen.
    Eine Stunde später wurde Iwan zu einem Verhör abgeholt. Zwei baumlange Kastraten mit fülligen Oberschenkeln und femininem Gang führten ihn in einen winzigen Raum unter dem Bahnsteig. An der Decke brannte eine Energiesparlampe. Ihr kaltes Licht fiel auf das Gesicht eines Mannes, der an einem Tisch saß.
    Auch ein Kastrat, dachte Iwan, aber einer, der vergleichsweise männlich aussieht.
    »Nehmen Sie Platz.«
    Iwan setzte sich. Der Stuhl unter ihm quietschte.
    »Ist das Ihr Pass?«
    Der Kastrat hielt ihm den aufgeschlagenen Ausweis unter die Nase. Das Passbild zeigte einen

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