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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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was ihn eher an den Rand des Wahnsinns trieb, die Dunkelheit oder Wodjaniks Gefasel. Gab es eine schlimmere Strafe, als sich mit einem Fanatiker über seine große Leidenschaft zu unterhalten? Iwan tröstete sich damit, dass es der Sache diente.
    Zur nächsten Essensausgabe brachte der Gefängniswärter eine gummiverkleidete Taschenlampe mit.
    Die gehört doch mir!, dachte Iwan. Verdammte Diebe. Aber sei’s drum, Hauptsache unser Plan klappt.
    Und außerdem: Licht! Im Augenblick gab es nichts Schöneres auf der Welt.
    Die Augen des Professors leuchteten und seine Nasenflügel vibrierten. Selbst Iwan ließ sich ein wenig von seiner Begeisterung anstecken. Wodjanik und Ignatius hatten bereits zehn Fragen gespielt und es stand sechs zu vier für den Professor.
    Die Stirn des Gefängniswärters war schweißgebadet. Sein Gesichtsausdruck strahlte eine Mischung aus Euphorie und Verklärung aus, wie bei einem Junkie, der gerade high war. Er schien nicht mehr weit davon entfernt, die Kontrolle über sich zu verlieren. Andererseits blieb ihnen auch nicht mehr viel Zeit: noch zwei Mahlzeiten.
    »Achtung, es folgt die nächste Frage«, verkündete Wodjanik. »Beim Bau der Moskauer Metro wurden selbst bei der Planung der Stationen ideologische Ziele verfolgt. Während sich bei Untergrundbahnen in kapitalistischen Ländern die Bahnsteige am Rand und die Gleise in der Mitte befinden, verhält es sich bei der Moskauer Metro bekanntlich genau andersherum. Die Frage nun lautet: Was ist gemäß marxistisch-leninistischer Ideologie das Wichtigste in der Metro? Die Zeit läuft.«
    Die Stoppuhr klickte.
    Der Gefängniswärter versank in Gedanken, dann reckte er plötzlich den Daumen. Sein Gesicht glühte vor Leidenschaft.
    »Ja … Ja … Gleich hab ich’s! Also, das Wichtigste in der Metro … nach marxistisch-leninistischer Ideologie ist … die richtige Weichenstellung!«
    »Also, Ihre Antwort?«, hakte Wodjanik nach.
    »Äh … Die richtige Weichenstellung.«
    »Antwort angenommen«, sagte der Professor. »Achtung. Die richtige Antwort lautet …«
    Der Gefängniswärter stand wie ein Betrunkener da und schwankte. Er taumelte zur Zelle gegenüber und lehnte sich daran.
    Im nächsten Moment packte ihn der Oberführer von hinten mit der einen Hand an der Stirn, mit der anderen am Kinn und schlug seinen Kopf mit voller Wucht gegen das Gitter. Ein grauenhaftes Knacken ließ Iwan erschaudern.
    »Wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämens«, rezitierte der Skinhead.
    Der Gefängniswärter kippte vornüber, seine Beine knickten ein. Für einen Moment noch leuchtete ein irres Feuer in seinen Augen, dann verloschen sie und sein Körper schlug weich wie ein mit Lumpen gefüllter Sack auf dem Boden auf.
    »Aber wir wollten ihn doch überreden …«, stammelte der Professor bestürzt. »Warum denn so …?«
    Der Oberführer kniete sich hin, griff durchs Gitter, packte den leblosen Aufseher an der Hose und zog ihn zu sich heran.
    »Er wollte Sie blenden«, sagte Iwan zu Wodjanik. »Haben Sie das schon vergessen?«
    »Er war …« Der Professor setzte sich auf den Boden und lehnte sich kraftlos gegen das Gitter. »Er war doch einer von uns.«
    Der Oberführer nahm dem Toten den Schlüsselbund ab, stand auf und machte sich fieberhaft am Schloss zu schaffen. Es dauerte, bis er endlich den richtigen Schlüssel fand. Klick-klack. Qui-ietsch. Die Tür öffnete sich.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung schlüpfte er aus seiner Zelle und machte sich eilig daran, die übrigen Gefangenen zu befreien.
    »War seine Antwort denn richtig, Prof?«, fragte Iwan.
    Der Professor saß immer noch in seiner Zelle und starrte fassungslos seinen toten Quizpartner an. Langsam hob er den Kopf. Er sah gealtert aus.
    »Nein«, antwortete er. »Er hat die Frage ›überdreht‹. Das Wichtigste in der Metro sind die Menschen. Ganz einfach.«
    An die folgenden Ereignisse konnte sich Iwan nur bruchstückhaft erinnern. Nachdem alle Gefangenen befreit waren, schnappten sie sich die Taschenlampe und legten einen filmreifen Ausbruch hin – mit allem, was so dazugehört: Panik, Geschrei, Chaos.
    Sie überrumpelten zwei Wachposten und erbeuteten ihre Gewehre. Gegen Sehende, die über eine Lampe verfügten, hatten die Blinden nicht die geringste Chance.
    Wie Iwan vermutet hatte, befand sich ihr Gefängnis in einem kleinen Bunker, von dem man unmittelbar in den Haupttunnel gelangte. Dieser führte in südlicher Richtung zur Station Oserki und dann weiter zum Newski prospekt . Die

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