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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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sieben- oder achtjährigen Jungen. Das Foto war miserabel und völlig verblasst. Man hätte darauf genauso gut den Oberführer erkennen können und notfalls sogar Mandela.
    »Ja«, bestätigte Iwan.
    »Gorelow, Iwan Sergejewitsch, korrekt?«
    Der Kastrat sah ihn kühl an. Er wirkte gelassen und professionell. Irgendetwas an ihm erinnerte Iwan an Orlow, den Geheimdienstchef der Admiraltejskaja , und er ballte unwillkürlich die Fäuste.
    Was kannst du mir schon anhaben, dachte Iwan. Ich habe schon mit ganz anderen Leuten unter vier Augen geplaudert. Mit Memow zum Beispiel.
    Der Digger entspannte sich und lehnte sich zurück.
    »Antworten Sie bitte auf die Frage«, sagte der Kastrat.
    »Richtig.«
    »Was ist richtig?«
    »Dass mein Name Iwan Sergejewitsch Gorelow ist.« Iwan richtete sich auf. »Oder interessieren Sie auch andere Dinge? Ich sammle zum Beispiel Ansichtskarten von der Peter-und-Paul-Festung.«
    »Sparen Sie sich Ihre Albernheiten«, warnte der Kastrat. »Das ist in Ihrem Interesse, glauben Sie mir. Nächste Frage: An welcher Station wurden Sie geboren?«
    Iwan stutzte.
    »Ich bin vor der Katastrophe geboren. Woraus wollen Sie mir eigentlich einen Strick drehen? Aus dem Stationsstempel? Das ist doch lächerlich.«
    »Der Stempel ist von der Station Ploschtschad Wosstanija , nicht wahr?«
    »Na und? Dort bin ich nach der Katastrophe gelandet«, log Iwan. »Ist das ein Verbrechen?«
    »Nein, das nicht«, erwiderte der Kastrat, klappte den Pass zu und stand plötzlich auf. »Aber es ist ein bemerkenswerter Zufall.«
    Ein Zufall? Iwan verstand nur Bahnhof. Dieser Kastrat spielte ein seltsames Spiel. Etwas Gutes führte er nicht im Schilde, das sagte Iwan seine innere Stimme.
    Immer diese düsteren Vorahnungen. Die können einem den letzten Nerv rauben.
    Der Kastrat ging zur Tür. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen.
    »Wie heißt Ihr Vater?«, fragte er wie beiläufig.
    »Sergej.«
    Mit so einer billigen Falle kriegst du mich nicht, dachte Iwan.
    »Erinnern Sie sich an ihn?«
    Interessante Frage.
    »Nur sehr dunkel«, antwortete Iwan. Er wollte es mit dem Lügen nicht übertreiben. »Er hat mich und meine Mutter weggeschickt, verstehen Sie?«
    »Verstehe. Vielen Dank für Ihre Auskunftsbereitschaft, Iwan Sergejewitsch. Sie werden gleich in Ihren Ruheraum zurückgebracht.«
    Ruheraum? Der will mich wohl verarschen. Aber was soll’s. Nach dem finsteren Gastspiel bei den Blinden ist jeder Knast mit Licht die reinste Erholung.
    »Und?«, fragte Kusnezow neugierig. »Was wollten sie wissen?«
    Iwan winkte ab, setzte sich auf die Pritsche und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Er wollte ein Nickerchen machen, solange noch die Möglichkeit dazu bestand.
    Die Zeit verging – vielleicht eine Stunde. Iwan hatte damit gerechnet, dass auch seine Begleiter verhört würden, doch offensichtlich interessierten sich die Kastraten nur für ihn.
    Der Oberführer hatte sich rücklings auf der schmalen Pritsche ausgestreckt und führte Selbstgespräche.
    »Ich bin das Sprachrohr des Volks«, verkündete er.
    Die eiskalten blauen Augen des Skinheads leuchteten wie Dioden und starrten an die Decke. Sein massiger, mit Platzwunden übersäter Schädel sah aus wie eine Kraterlandschaft mit spärlich sprießender Vegetation.
    Iwan hörte ihm zu.
    Die Rolle des Zuhörers war zwar nicht neu für ihn, doch er fand sie immer noch interessant. Die Fähigkeit zuzuhören war überhaupt eine der wichtigsten Tugenden eines Anführers. Oder eines Kommandeurs eines Diggertrupps. Wenn auch eines ehemaligen.
    Bilder schossen Iwan durch den Kopf: der zähnefletschende Gladyschew mit blutigem Schaum vor dem Mund; Sasonow, der matte Glanz seines Python-Revolvers; der Schuss.
    Ein ehemaliger Kommandeur eines ehemaligen Diggertrupps. Verdammt! Die Monter sollen alles holen!
    »Was willst du sein?«, fragte Mandela spöttisch. »Noch mal langsam, zum Mitschreiben.«
    »Von mir aus …« Der Oberführer kniff das linke Auge zu, starrte an die Decke und begann zu diktieren. »Ich bin das Sprachrohr des Volks. Man könnte auch sagen, die Materialisation des Volkswillens.«
    »Ich krieg die Krise«, warf Kusnezow ein und blickte sich stolz um – seht her, was ich mich traue. Grünschnabel.
    »Ich auch«, pflichtete Iwan schmunzelnd bei.
    Im Prinzip hatte Mischa aber recht. So eine Materialisation des Volkswillens wie den Skinhead mit seiner zerbeulten Visage würde man seinen schlimmsten

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