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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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eine eigene Kaste, genauso wie Iwans Digger. Und eine Kaste zeichnet sich eben gerade dadurch aus, dass man schwer hineinkommt und schwer wieder hinaus.
    Doch Iwan verzichtete darauf, den Jungen zu verbessern. Man wird ja schließlich noch träumen dürfen.
    »Ist Tanja hier?«
    »Ich weiß nicht, Chef«, erwiderte Kusnezow etwas verlegen. »Ich habe gerade erst meinen Posten bezogen.«
    Iwan nickte. Schon in Ordnung.
    Die Tierzucht.
    Die Käfigreihen türmten sich bis unters Dach der Station. Mit Maschendraht verschlossene Kisten aus Holz und Metall. Der Körpergeruch der Nager mischte sich mit dem Gestank uringetränkter Sägespäne und alten Kots zu einem deftigen Cocktail. Iwan schlenderte zwischen den Reihen hindurch und grüßte die ihm wohlbekannten Schnauzen. Das ständige Knuspern, Rascheln, Fiepen und Schmatzen hatte etwas Archaisches. Hauptsache fressen.
    Wie es sich wohl anfühlt, ein Meerschweinchen zu sein, fragte sich Iwan. In diesen Käfigen haben sie kaum Platz, können eigentlich nur fressen und scheißen. Ein lausiges Leben.
    In einem separaten Käfig, einer weißen Plastikschachtel mit der Aufschrift »Quartz grill«, saß ein fettes, weiß geflecktes Meerschweinchen und beäugte den Besucher. Iwan steckte ihm ein Bündel Tang durch den Maschendraht.
    »Hallo, Boris, wie geht’s?«
    Das Meerschweinchen hörte kurz zu mümmeln auf. Seine schwarzen Knopfaugen schienen zu sagen: »Mann, du hast mir gerade noch gefehlt.«
    In Liebesdingen war Boris kompromisslos, im Übrigen aber ein heilloser Opportunist. Er mochte niemanden außer Tanja und fraß dennoch ratzeputz alles, was ihm andere Leute brachten. Typisch Mann.
    »Tanja!«, rief Iwan. »Bist du hier?«
    Seine Stimme ging im Knabbern und Rascheln der Meerschweinchen unter. Iwan trottete weiter bis zum abgetrennten Dienstkabuff. Dort stand ein großer Schreibtisch, an dem Tanja die Dienstpläne schrieb und statistische Daten in eine Art Stallbuch eintrug: »Gewichtszunahme«, »Fleischleistung« und wie das alles hieß. Im selben Raum standen auch die Säcke mit dem Futter: Heu, Tang, Kartoffel- und Rübenkraut, Essensreste und was die Nager sonst noch verputzten. Und sie verputzten einiges.
    Hinter einer Sperrholzwand begann das Territorium der »Fazenda«. Dieser ironisch-liebevolle Ausdruck, der in den glücklichen Tagen vor der Katastrophe zur Bezeichnung eines privaten Kleingartens gedient hatte, wurde hier unten für die Gewächshäuser der Station verwendet. Ein schwüler, erdiger Geruch zog von dort herüber. Durch die von Tageslichtlampen erhellte Luft schwirrten kleine Fliegen, die unvermeidlichen Begleiter des Gartenbaus. In der Fazenda wurden Karotten, Kraut, Kartoffeln, Zwiebeln, Sauerampfer und sogar Blattsalate angebaut. Außerdem gab es einen einzigen Zitronenbaum, um den die Nachbarn von der Admiraltejskaja die Wassileostrowskaja heftig beneideten.
    Die Nahrungsmittelproduktion lief im Grunde sehr praktisch ab: Die Hinterlassenschaften der Nager dienten als Dünger und mit einem Teil der damit produzierten Pflanzen wurden wiederum die Meerschweinchen gefüttert. Und wo Letztere landeten, war auch klar: in der Pfanne oder im Topf.
    Früher hatte man versucht, auch die Lüftungsschächte für die Nahrungsmittelproduktion nutzbar zu machen, doch bekam man das Problem mit den Ratten nicht in den Griff. Verdammte Lebensmittelterroristen! Die knabberten ja sogar Metall an. Außerdem scheiterte das Vorhaben auch an der Stromversorgung; die Kapazität des Generators reichte nicht aus.
    Im Lüftungsschacht wurden deshalb Pilze angebaut – die fühlten sich wohl in der Dunkelheit. Austernseitlinge, Champignons und sogar Shiitake. Die Regale mit den Pilzkulturen verloren sich in der Finsternis des Schachts – ein unheimlicher Ort, fand Iwan.
    »Stell dir vor«, dozierte Onkel Jewpat, »so ein Pilzmyzel verfügt über einen kollektiven Verstand. Es kann sich über viele Hundert Meter erstrecken und Abertausende Pilze zu einem gemeinsamen Organismus verbinden. Und weißt du, was das Unheimlichste ist?«
    »Was denn?«
    »Wir haben keinen blassen Dunst, was sie denken.«
    Onkel Jewpat. Erinnerungen. Sprenkel aus einem schwarz-weißen Mosaik.
    Ich werde alt, dachte Iwan. Eine tolle Zeit habe ich mir da ausgesucht, um zur Ruhe zu kommen und mir eine Familie anzuschaffen. Eine gute Ehefrau, eine gute Station, ein guter Job – Postyschew hat mich als Stationsoberst vorgesehen, wenn es stimmt, was man sich erzählt. Was braucht ein Mensch sonst

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